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Stadtrat will Klarheit über Kurat Frank

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Kurat Frank wurde am 26. Mai 1867 in Günzburg geboren und starb am 8. Juli 1942 in Kaufbeuren. Er war Priester und von 1894 bis 1942 Hausgeistlicher an der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren/Irsee. © privat

Kaufbeuren – Die Gesinnung von Kurat Christian Frank wird die Stadt Kaufbeuren noch einige Zeit beschäftigen. Oder besser gesagt, den Stadtarchivar Dr. Stefan Fischer.

Er hat von der Stadt den Auftrag bekommen, bis Mai noch „zu klärende Fragen“ zu beantworten, die sich aus dem Vortrag „Gustav von Kahr, Christian Frank und die Abgründe des Heimatschutzes“ der Historikerin Dr. Martina Steber ergeben haben. Wie berichtet, stellte kürzlich die Historikerin des Münchner Institutes für Zeitgeschichte in ihrem Referat im Stadtmuseum klar, dass Frank als „zweifelsfreier Nationalsozialist“ galt und als Vordenker der Euthanasie verstanden werden muss. 

OB Stefan Bosse zeigte sich „erschüttert“ über die von Steber vorgetragenen Erkenntnisse. Wenn sich dies weiter bestätigt, soll die nach Frank benannte Straße in Kaufbeuren umbenannt werden. Der Stadtrat beschäftigte sich am Dienstag mit diesem Thema. 

Doch der Reihe nach. Die Historikerin hatte vergangene Woche in einem Vortrag den Wandel Franks vom „konservativen Heimatschützer zum völkischen Ideologen“ skizziert (wir berichteten). Sie machte deutlich, dass der zu seinen Lebzeiten als Heimatforscher anerkannte Frank in seinen Publikationen in der Zeitschrift „Deutsche Gaue“ ein Gedankengut vertrat, das besonders seit der Zeit des 1. Weltkrieges eine immer größere und bedenklichere Nähe zur Ideologie des Nationalsozialismus aufwies. 

Wie Steber in ihrem Referat, das auf ihrer Dissertation „Ethnische Gewissheiten“ basiert, aufzeigte, habe die Heimatbewegung damals ganz unterschiedliche Ausprägungen gehabt. Neben katholischen, liberalen oder sozialdemokratischen Ausrichtungen gab es eben auch die Franks. Er beschäftigte sich seit den 1890er Jahren mit Heimatkunde, war Mitgründer des „Vereins Heimat“ sowie Gründer und Herausgeber der Publikation „Deutsche Gaue“. 

Seine Vorstellung von Heimat war zunächst streng konservativ, das Volk sollte über seine Werte und Normen belehrt werden, um diese dadurch beizubehalten. Und so äußerte sich Frank zu Ostern 1917 – rund ein Jahr vor Ende des 1. Weltkriegs – in „Deutsche Gaue“ laut Steber sinngemäß, nur wenn jeder Einzelne sich selbst zum „volkhaften“ Leben bekehre, könne er als Teil des Volkes auferstehen. „Dies verlangte von dem Einzelnen völlige Selbstaufgabe im Dienste der Nation, mehr noch, die Bereitschaft zum Märtyrertod“, reflektiert Steber. 

„Um die Nation zu retten, muss man selbst sterben wollen, damit diese lebe“, kommentierte die „Deutsche Gaue“. Laut Steber habe der Tod auf dem Schlachtfeld „so nationalreligiösen und heimatideologischen Sinn erhalten“. Aus dem katholischen Geistlichen Christian Frank sei nun endgültig der Priester des völkischen Nationalismus geworden, schlussfolgerte die Historikerin. 

Seit 1918, also nach Ende des 1. Weltkrieges, sei das ideologische Reservoir, aus dem der Heimatbegriff der Zeitschrift „Deut- sche Gaue“ schöpfte, noch mal radikalisiert worden: „Es wurde klar definiert, wer Teil der heimatlichen Gemeinschaft sein konnte und wer nicht. Am offensichtlichsten trat dies an der weitreichenden Integration biologistischen und rassistischen Denkens zutage, das zu einem Markenzeichen ihres ideologischen Erscheinungsbildes wurde“, so die Historikerin. 

Die einschlägige Verbindung mit rassenhygienischen und erbbiologischen Überzeugungen führte laut Steber letztlich zu einer Gegenwartsdiagnose, die im Gefühl prophetischer Überlegenheit daherkam: „Wir haben nicht bloß eine immer größer werdende Menge körperlicher Jammergestalten von Erblich belasteten, Hysterischen, Kretinen usw. mitzuschleppen, die eine wachsende Belastung der Kreise und Gemeinden bilden; sondern wir haben unter uns auch eingesprengt Mengen von politischen Entartungsmenschen, welche planmäßig Fieber des Volkskörpers hervorrufen und den Untergang eines so geschwächten Deutschlands mit ‚Hochrufen auf Freiheit, Gleichheit und allgemeine Weltbeglückung‘ begleiten würden“, verkündete „Deutsche Gaue“ 1927. 

Wie Steber in ihrem Referat weiter betonte, forderte die Zeitschrift ein Jahr später die unbedingte Abwehr einer „Rassenmischung“ mit „außereuropäische[n], also uns blutfremde[n] Rassen“. „Rassenverderber“, so prangerte, die „Deutsche Gaue“ im selben Jahr an, seien „der Alkohol, die Geschlechtskrankheiten und die Tuberkulose, sind uns Familien mit erblichen körperlichen und geistigen Gebrechen, sind uns körperliche und geistige und mo- ralische Kümmerer.“ 

Dass Frank über Jahrzehnte als Seelsorger an der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee tätig war, die zu einem Zentrum der „Euthanasie“-Verbrechen des NS-Regimes werden sollte, mute laut Steber vor diesem Hintergrund „mehr als zynisch“ an. „Wie die nach 1945 weit verbreitete Mär, dass er 1942 angesichts der Leiden der Anstaltsinsassen ‚innerlich schwer getroffen’, ‚seelisch zerbrochen’ und geplagt von ‚Gewissensproblemen’ gestorben sei, in dieses Bild passt, ist schwer ersichtlich – zumal Christian Frank als zweifelsfreier Nationalsozialist galt“, resümierte die Historikerin. 

Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Anhängerschaft des Otto Merkt zu Frank. Der einstige Oberbürgermeister Kemptens und spätere Präsident des Kreistages von Schwaben und Neuburg habe sich laut Steber schon früh rassehygienischen und eugenischem Denken geöffnet. Den damaligen Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren, den Psychiater Valentin Faltlhauser, inspirierte Merkt zur Euthanasie. 

Die Männer um Christian Frank jedenfalls glaubten im Frühjahr 1933 mit der Machteroberung der Nationalsozialisten die erträumte Volkwerdung zu erleben und erkannten in der nationalsozialistischen Revolution „die Erfüllung des heißesten Strebens der Deutschen Gaue“, so Steber. „Da es sich hier um eine sehr sensible Problematik handelt und die ersten Reaktionen auf diesen Vortrag noch zu klärende Fragen aufwarfen“, so Bosse, soll nun die Prüfung durch Stadtarchivar Dr. Fischer stattfinden. 

Stadtrat will Klarheit 

Auch der Stadtrat beschäftigte sich am Dienstag mit diesem Thema. Dr. Fischer soll die Erkenntnisse über Kurat Frank zusammenfassen und dem Stadtrat in seiner Sitzung im Mai vortragen. In diesem Zusammenhang bittet die Stadt Bürger und Institutionen, Quellenmaterial zu Kurat Frank bis Ende April an das Stadtarchiv zu übersenden, um eine möglichst vollständige Bewertung der Person Christian Frank zu ermöglichen. 

Riehl-Frank-Stiftung 

Zur Aufklärung beitragen könnte auch die in Kaufbeuren ansässige Riehl-Frank-Stiftung. Sie verwaltet den Nachlass von Kurat Frank. Die Aufsicht hierüber hat Meinrad Weikmann, der Frank zu dessen Lebzeiten in seiner Arbeit unterstützte und die Publikation „Deutsche Gaue“ als Heimatzeitung nach Franks Tod fortsetzte. Doch der Zugang zu diesem Nachlass gestaltete sich bislang für Historiker sehr mühsam. Der Grund hierfür ist nicht bekannt. 

Etwas mehr Glück könnte hier wohl der Stadtarchivar Dr. Stefan Fischer haben, zumal die Stadt die Stiftung jährlich mit über 7000 Euro finanziell unterstützt, um den Bestand an Zeitdokumenten zu erhalten. Wie Dr. Fischer im Gespräch mit unserer Zeitung betonte, habe sich Dr. Steber in ihrer Arbeit zu 99 Prozent auf Aussagen der Zeitschrift „Deutsche Gaue“ berufen. Diese Reihe sei lückenlos im Stadtarchiv von jedermann einsehbar. 

Warum dann nicht schon früher mal jemand angesichts Franks Weltanschauung stutzig geworden sei, begründete Fischer damit, dass dieser sozusagen für die „Einleitung“ des Heftes zuständig gewesen sei – Historiker aber eher auf der Suche nach Fachartikeln gewesen seien und das Vorwort sozusagen nicht wahrgenommen hätten. Denn im Heft selbst waren durchaus „seriöse wissenschaftliche Beiträge“, so Fischer. 

Doch dort finden sich eben auch, „der damaligen Zeit entsprechend“, „streng deutsch-nationalistische Themen mit sozialdarwinistischen Erklärungsmustern sowie völkisch-rassistischen Ideologien“. Wie Fischer betonte, seien diese in der damaligen Zeit weder „verpönt“ noch „unlauteres Gedankengut“ gewesen. „Es war gang und gäbe so zu denken“, so der Stadtarchivar. 

Doch mit Blick auf ein heutiges aufgeklärtes Denken, dem sich Fischer verpflichtet fühlt, räumt er ein – ohne bereits alle Quellen studiert zu haben – dass Frank mit seiner Geisteshaltung „Vorreiter für die NS-Ideologie war“. Er habe hier „geistigen Vorschub geleistet“. Ob aus innerer Überzeugung, müsse noch geklärt werden. 

Hierzu will Fischer auch das im BKH befindliche Archiv nach Hinweisen wie Notizen von Frank durchstöbern. Mit Blick auf Dr. Stebers Arbeit habe Fischer keine Zweifel, dass die Aussagen zutreffen, „da jede belegt ist“. Dies empfand auch Dr. Reiner Jehl, Vorstand des Freundeskreises Stadtmuseum, so. Der Vortrag von Dr. Steber sei „ausgezeichnet, hervorragend belegt, klar und nüchtern“ gewesen. 

Jehl verstehe OB Stefan Bosse, der da sagt, „wir müssen etwas tun“. „Es bedarf eines Zeichens des Hinschauens und der Wahrnehmung“, so Jehl. Mit Blick auf die Riehl-Frank-Stiftung erklärte Jehl, dass es wünschenswert sei, das Archiv der Stiftung ungehindert und uneingeschränkt der Wissenschaft zugänglich zu machen. Dies würde Falschinterpretationen und Legendenbildung vorbeugen. Die Kurat-Frank-Straße wurde nach Fischers ersten Erkenntnissen übrigens vor 1949 so benannt.

von Kai Lorenz

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