Gehörlosengeld wird erneut im Bayerischen Landtag diskutiert: Betroffene sind frustriert

Im bayerischen Landtag wird erneut diskutiert, ob es für Gehörlose einen Nachteilsausgleich geben soll. Aktuell sind sie von vielen Lebensbereichen auch aus finanziellen Gründen ausgeschlossen.
München - Can Sipahi hat in den vergangenen Jahren viele politische Debatten zum Thema Gehörlosengeld verfolgt. Das Thema wird in Bayern seit 2011 diskutiert – voran geht nicht viel. Auch gestern verließ Sipahi, der zweite Vorsitzende des Gehörlosenverbandes München und Umland, den Landtag wieder frustriert. Er war in den Sozialausschuss gekommen, um noch einmal zu betonen, wie wichtig das Gehörlosengeld für Betroffene ist. Der Ausschuss hatte dafür einen Gebärden-Dolmetscher beauftragt.
Gehörlose mit Nachteilsausgleich: Bayerischer Landtag streitet seit Jahren
Die Grünen hatten die Staatsregierung mit einem Antrag aufgefordert, das Konzept der Fachverbände aufzugreifen und umzusetzen. Diesen Antrag haben CSU* und Freie Wähler mit ihrer Stimmenmehrheit abgelehnt. Auch sie wollen Gehörlosen zwar einen Nachteilsausgleich zahlen – allerdings erst mal nur eine Einmalzahlung von 145 Euro. Diesen Betrag würden auch nicht alle Menschen mit Hörbehinderung erhalten. Claudia Köhler von den Grünen* nennt diesen Plan „einen Witz“. Gehörlose hätten so hohe Kosten, um am sozialen Leben teilnehmen zu können, betont sie. Die Grünen fordern ein Gehörlosengeld von 315 Euro monatlich für alle Menschen mit Höreinschränkungen – das wären rund 60 Prozent des Blindengeldes.
Landtag diskutiert: Für Gehörlose geht nichts voran
In Bayern sind 15 000 Personen betroffen, im Haushalt müssten dafür 56 Millionen Euro eingeplant werden. „Verglichen mit dem, was wir für zu teure Schutzmasken bezahlt haben, ist das keine große Summe“, argumentierte die Grünen-Abgeordnete Kerstin Celina im Ausschuss. Für so viele Bereiche sei Geld da, nur für die Gehörlosen gehe nichts voran, kritisierte sie und forderte die Staatsregierung erneut auf, ihr Versprechen endlich einzulösen und einen Nachteilsausgleich zu zahlen.
Übrigens: Unser Bayern-Newsletter informiert Sie über alle wichtigen Geschichten aus dem Freistaat. Melden Sie sich hier an.
Bayern: Menschen mit Hörbehinderung ohne finanzielle Unterstützung
In vielen anderen Bundesländern passiert das bereits. Eine bundesweit einheitliche Regelung gibt es nicht. Die Frage sei, welcher Betrag dauerhaft umsetzbar ist, sagte Thomas Huber (CSU). „Ich weiß, die Einmal-Zahlung ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein – aber es wäre schon mal eine Unterstützung.“
Chancengleichheit steht und fällt mit der Kommunikation.
Can Sipahi ist enttäuscht, dass die Regierungsparteien von dem Konzept der Einmalzahlung nicht abrücken wollen. Das helfe Betroffenen nicht weiter, betont er. Ein professioneller Gebärdensprache-Dolmetscher kostet pro Stunde 85 Euro. Dazu kommen die Fahrtkosten. Auf die Dolmetscher sind Gehörlose in vielen Alltagsbereichen angewiesen. Zum Beispiel für einige Arztbesuche oder Bankgespräche. Schon eine Eigentümerversammlung ist für Gehörlose nicht machbar, wenn sie keinen Dolmetscher haben, erklärt er. Es gebe viele Lebensbereiche, in denen Gehörlose noch immer ausgeschlossen sind. Sie könnten Chancen nicht nutzen, weil die Teilhabe so schwierig ist. „Chancengleichheit steht und fällt mit der Kommunikation.“
Landtag entscheidet Anfang April über Gehörlosengeld
Sipahi ist selbst von Geburt an gehörlos. Er weiß, wie oft Gehörlose im Alltag auf Hilfen angewiesen sind - zum Beispiel von Ehrenamtlichen, die die Gebärdensprache beherrschen. Gäbe es ein Gehörlosengeld, könnten sich Gehörlose dafür hin und wieder mit einer Essenseinladung oder einem Gutschein bedanken, sagt Sipahi. Außerdem hätten Gehörlose höhere Energiekosten, erklärt er. Sie sind im Alltag auf mehr Technik angewiesen – und auch auf intensivere Beleuchtung. Einige Redebeiträge im Landtag haben ihn gestern schwer getroffen, sagt er. Er kann zum Beispiel nicht verstehen, warum das Gehörlosengeld nach so vielen Jahren Diskussionen, Konzepten und Fachgesprächen wieder nicht im Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. „Im Grundgesetz steht, alle Menschen sind gleich. Wir Gehörlosen zahlen auch Steuern, wir wählen – uns muss es auch möglich sein, am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu dürfen.“
Anfang April soll im Landtag erneut über das Gehörlosengeld diskutiert werden. Grüne, SPD* und FDP* wollen weiter für den monatlichen Betrag kämpfen. Can Sipahi wird die Debatte natürlich wieder verfolgen – mithilfe eines Dolmetschers. In diesem Fall übernimmt der Landtag die Kosten. *merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA