Das „RainBow“ in Immenstadt schrieb Geschichte

Immenstadt – Das Jugendhaus „RainBow“ kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken und sorgte auch bundesweit für Aufsehen.
Als die Jugendhausbewegung 1971, ausgelöst durch die Sendereihe „Jour fixe“ des Süddeutschen Rundfunks, richtig in Fahrt gekommen war, konnte sie auf die Erfahrungen einiger erfolgreicher Initiativen zurückgreifen. Das „Komm“ in Nürnberg, das bald zu den bekanntesten dieser soziokulturellen Zentren wurde, öffnete erst 1973 seine Tore. Zu den Pionieren gehörte neben Eckernförde (1968) und Gaggenau (1969) auch das 1970 in Immenstadt gegründete selbstverwaltete Jugendhaus in der alten Schießstätte am Kalvarienberg, das von den Jugendlichen in Eigenregie renoviert und am 26. September eröffnet wurde.
Die jungen Menschen schlossen sich 1972 in der „Aktion Freies Jugendheim“ zusammen, die in Kooperation mit der Christlichen Arbeiterjugend die Verantwortung für die Öffnungszeiten übernahm. Es kam immer wieder zu Konflikten mit der Stadtverwaltung und zeitweise zu Schließungen. 1975 wurde die Trägerschaft vom Kreisjugendring übernommen, die ersten Mitarbeiter, zunächst Jahrespraktikanten, wurden angestellt.
Die Einrichtung hieß seit 1979 RainBow. 1983 war das Jahr der großen Änderungen. Zunächst wurde der Sozialpädagoge Stefan Erb angestellt, der bis 2020 blieb. Eine Kontinuität, die in der offenen Jugendarbeit sonst kaum vorhanden ist. Dann kam der Umzug in den jetzigen Standort auf dem ehemaligen AOK-Gelände. Der Umbau erfolgte wieder komplett in ehrenamtlich erbrachter Eigenleistung, genauso wie alle späteren Renovierungs- und Erweiterungsmaßnahmen. Die Trägerschaft übernahm die Stadt, die Einrichtung bekam ihren ersten festen Etat.
Das „RainBow“ in Immenstadt: Eine Erfolgsgeschichte
Eine Erfolgsgeschichte nahm ihren Anfang: Das RainBow ist – nicht nur in der Region – zum Inbegriff der freien Jugendkulturarbeit geworden. 2016 erhielt die Einrichtung einen Sonderpreis des Landkreises Oberallgäu als Würdigung des „herausragenden langjährigen Engagements für junge Musiker und Nachwuchsbands sowie der Verknüpfung von Kultur- und Sozialarbeit“.
„Im Januar 2020 sind es 592 Veranstaltungen mit 583 Interpreten aus 32 Ländern und allen fünf Kontinenten. Vor allem natürlich Rockmusik, aber auch Kleinkunst, Theater, Lesungen, Kabarett, Jazz, Avantgarde“, für die es nie einen finanziellen Zuschuss gegeben habe, so steht es im letzten Jahresbericht.
Bundesweit bekannt
Der seit 1986 jährlich – insgesamt 34-mal – veranstaltete 68er Ball unter dem Motto „Love, Peace und Hippienes“ erlangte bundesweite Bekanntheit. Über das 1989 ausgerichtete große Fest der Oberallgäuer Jugendhäuser gab es einen zweistündigen Live-Bericht im Bayerischen Rundfunk. Filme aus der Videowerkstatt gewannen regelmäßig die Schwäbische Klappe. Im Keller gab es Proberäume für Bands, die seit 1984 einmal im Jahr beim „Asselabend“ eine öffentliche Bühne erhielten.
Der erste Poetry Slam im Allgäu war im RainBow. Es gab eine Modellbauwerkstatt, regelmäßige Filmabende, Ausstellungen von Oberallgäuer Künstlern, Gitarrenkurse, Theaterworkshops, ein Fotolabor, mehrere Hauszeitungen, Tanzgruppen, Kunstaktionen, politische Gruppen, Internet-Café und vieles mehr. Das Haus organisierte aber auch Sportevents, Radtouren, internationale Kultur- und Bildungsfahrten. Von 2012 bis 2019 befand sich das Büro einer Streetworkerin im Gebäude

Viele Jahre war das RainBow der einzige Anbieter für moderne Kultur in Immenstadt und hat somit den Grundstein gelegt auf dem Albert Seitz mit dem Immenstädter Sommer und der Kleinkunstverein Klick wunderbar aufbauen konnten“, äußerte sich Stefan Erb. „Hätten wir nicht immer mit angezogener Bremse fahren müssen, sondern wären von Seiten der Verwaltung und des Stadtrates unterstützt und gefördert worden, wäre aus dem RainBow ein großartiges Mehrgenerationen-Jugend-Kultur-Haus geworden. Schade um die vertane Chance.“
Selbstverwaltung
Von der Pionierzeit geblieben ist die Tradition der Selbstverwaltung, die in der Form eines Jugendhausrates weiterlebte, der die Ausrichtung der Einrichtung umfassend mitbestimmen durfte. Von 1986 bis 2016 verwalteten sie auch ihre eigenen Finanzen. Die Jugendlichen mischten auch in der Stadtpolitik mit, beispielsweise durch die Organisation der Immenstädter Jugendforen.
Sie setzten sich für das interkulturelle Zusammenleben ein, indem sie beispielsweise miteinander Feste auf dem Klosterplatz auf die Beine stellten. Anzeichen dafür, dass die Geschichte zu Ende gehen könnte, gab es immer wieder, diese verdichteten sich aber seit 2015 immer mehr. Schließlich wurde der Vor-Ruhestand der beiden Mitarbeiter Stefan Erb und Wolfgang Klimek – er war seit 1988 dabei – als Anlass für eine komplette Neuaufstellung genommen, was das Ende eines einzigartigen Allgäuer Kulturprojekts endgültig besiegelte.
Kommentar von Lajos Fischer: Jugendkultur ade?
„Des rebellischen Stachels beraubt, befriedet und konzeptionell ausdifferenziert bis hinein in die Kulturelle Kinder- und Jugendbildung“ – so beschreibt Tobias J. Knoblich in seiner Dissertation 2016 die aktuelle Ausgangslage soziokultureller Einrichtungen. Die grundlegenden Änderungen in Immenstadt liegen also im bundesrepublikanischen Trend. Einrichtungen der offenen Jugendarbeit sind heute nicht mehr Orte einer basisdemokratisch organisierten alternativen Jugendkultur – die ist in vielen Bereichen Teil des Mainstream geworden –, sondern sie erfüllen einen gesetzlichen Auftrag im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Das RainBow schaffte, dank der hohen personellen Kontinuität, den Spagat zwischen den beiden Konzepten.
Die Stadt Immenstadt nutzte den Generationswechsel, um die kommunale Jugendarbeit neu aufzustellen und der heutigen „Normalität“ anzupassen. Für den neuen Auftrag ist das jetzige Jugendhaus „Time Out“ gut aufgestellt, das hauptamtliche Team geht mit viel Energie und Offenheit auf die Jugendlichen zu, bietet ihnen Freiraum, was von den jungen Menschen auch gerne angenommen wird. Das halbe Jahrhundert, in dem die Jugendkultur in Immenstadt mindestens bayernweit an die Spitze der Szene gehörte, muss eine entsprechende Wertschätzung erleben. Eine wissenschaftliche Dokumentation, ähnlich wie die von Thomas Röpke für die bereits 1997 von der Stadt beendete Geschichte des „Komm“ in Nürnberg, könnte dazu gehören. Die im RainBow geschaffene Tradition muss in anderen Formen weiterleben: Denn unsere Demokratie braucht weiterhin Orte, die kulturelle Teilnahme und Teilhabe gleichzeitig ermöglichen.