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Wie geht man mit Familiengeschichte um? Stauffenberg-Enkelin liest 

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Von: Regine Glöckner

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Sophie von Bechtolsheim
Aufarbeitung der Familiengeschichte in historischem Rahmen mit adliger Präsenz: Sophie von Bechtolsheim, die Enkelin des aus dem schwäbischen Uradel stammenden, in Jettingen geborenen Widerstandskämpfers Claus Schenk Graf von Stauffenberg, berichtete aus dem Leben ihrer Familie vor und nach dem Anschlag 1944. © Glöckner

Mindelheim – Unter dem Veranstaltungstitel „Wie prägt Geschichte Familien? – Geschichte kann erbarmungslos über Familien und Schicksale hinwegrollen“ waren „Lesung und Gespräch“ angekündigt, mit Sophie von Bechtolsheim, der Enkelin von Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Historikerin und Mediatorin las aus ihren Büchern „Stauffenberg“ und „Stauffenberg. Folgen“. 

Schon vor geraumer Zeit eingefädelt, hatte dieses Programm Kathrin von Erffa, Büro-Mitarbeiterin der Katholische Erwachsenenbildung Unterallgäu (KEB) in Mindelheim, mittels ihrer persönlichen Kontakte zur Autorin. Und, wie Ursula Kiefersauer, die Vorsitzende der KEB, bei ihrer Begrüßung betonte, dies sinnvollerweise in Zusammenhang mit den historischen Terminen des 8. und 9. Mai: Kriegsende-, Befreiungs- und Europatag. Auch die KEG (Katholische Erziehergemeinschaft) und der Stefanuskreis Mindelheim hatten bei der Organisation mitgewirkt. Gleich eingangs bekannte von Bechtolsheim eine gewisse Anspannung, weil sie erstmals an einem Abend aus ihren beiden Büchern zu lesen beabsichtigte.

Und sie stand zu ihrer Mission, mit ihrem ersten Buch „Stauffenberg“ gegen eine seinerzeit „handwerklich schlecht gemachte Biografie innerhalb von sieben Wochen angeschrieben zu haben“. Ziel war es, das damals „in vielen Medien verbreitete Image Stauffenbergs als bloßer Attentäter zu widerlegen“. Und damit wurde die Lesung – ebenso wie das Buch – sofort persönlich und emotional: Ihre Oma, Nina von Stauffenberg, die ihr so viel erzählt hatte, sei für von Bechtolsheim verbunden mit Gerüchen, Sinnlichem, Bildern; der Opa, der Widerstandskämpfer: „mit viel Papier“.

Wie gehen die Nachkommen des Widerstandskämpfer Stauffenberg mit ihrem Erbe um?

Dann berichtete von Bechtolsheim, die 1968 geboren wurde, in chronologischen Episoden vom Leben im Hause und in den Kreisen der von Stauffenbergs. Sie kam alsbald sehr selbstreflektiert auf grundsätzliche Fragen, wie Widerstand, Schuld, Risiko und Scheitern zu sprechen. Aber auch auf die „Attentats-Jubiläen“ nach dem Krieg, die der Familie viel abverlangten. Von Bechtolsheim sprach auch über ihre ehrenamtliche Tätigkeit als Kuratorin für die Stiftung 20. Juli 1944.

Ihre Erfahrungen dort gipfelten in Fragen wie: Was wollte Stauffenberg hinterlassen? Inwieweit handelte er einsam? Wurde das Scheitern eines Attentats bewusst in Kauf genommen? Die Autorin erwähnte zudem Martin Buber und dessen „Gewissensmut“ im Zusammenhang mit der Tragik, unschuldig schuldig zu werden. Sie äußerte sich außerdem zum Thema Sippenhaft und schilderte die bemerkenswerte Haltung der Oma, der Frau des Widerständlers, die immer wieder betont habe: „Wir sind keine Berufshinterbliebenen“ und damit zum Ausdruck brachte, sich nicht wichtigmachen zu wollen mit dem traurigen Ende und Erbe ihres Mannes.

Die Großmutter wollte „Zukunft aus der Gegenwart gestalten“, ließ die Adlige wissen und kommentierte insofern auch den Veranstaltungstitel. Wie auch die kurzen Passagen aus dem Buch „Stauffenberg. Folgen“ aufscheinen ließen, muss Geschichte nicht notwendigerweise Familien überrollen. Umso wichtiger sei es aber, jene, die von ihrer Vergangenheit eingeholt, erfasst und angefasst werden, bei ihrer Aufarbeitung ernst zu nehmen. Auch sollte man deren historisch-biografische Lage, den familiengeschichtlichen „Rucksack“, hinterfragen und Nachkommen möglichst vorurteilsfrei anschauen.

Verwobene Familiengeschichten

Der Lesungsabend bot einen sehr privaten, autorisierten Bericht über den ursprünglichen Nazi-Mitläufer Bert Heinrich, einen guten Bekannten der Adelsfamilie. Auch die Begegnung mit Dorothea Johst wurde thematisiert. Dies ist die Tochter des in der Wolfsschanze bei dem Anschlag umgekommenen dienstverpflichteten Stenografen Hitlers.

Von Bechtolsheim beschrieb, wie die beiden Frauen zueinander fanden, die Enkelin des Täters und die Tochter des ums Leben gekommenen Zivilisten. Jene in der Plattenbausiedlung in Erfurt, die von Versöhnung sprach, und die Adlige unterwegs auf der Lebens- und Lesungsreise zu ihrer Familiengeschichte. Beim Publikumsgespräch erinnerte ein Besucher auch an „die Gnade der späten Geburt“. Von Bechtolsheim sieht es als Zeichen deutscher Rechtsstaatlichkeit, dass Aufarbeitungsdiskussionen offen geführt werden. Die aktuelle Debatte um Aufarbeitung in der Kreisstadt blieb dabei außen vor (Unser Medium berichtete). 

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