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Theo Waigel gedenkt der Euthanasie-Opfer des Nationalsozialismus

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Dr. Theo Waigel bei der Gedenkveranstaltung „Lichter gegen das Vergessen“ in Irsee. 2022
Dr. Theo Waigel bei der Gedenkveranstaltung „Lichter gegen das Vergessen“ in Irsee. © Wischhöfer

Irsee – An Allerheiligen ist es Brauch, auf den Gräbern der Verstorbenen Lichter zu entzünden und der Toten zu gedenken. Auf Anregung des in Irsee lebenden Schriftstellers Robert Domes findet diese Form des Totengedenkens seit 2010 in Kooperation mit dem Schwäbischen Bildungszentrum Irsee und dem Bildungswerk des Bayerischen Bezirkstags auch auf dem ehemaligen Patientenfriedhof hinter der Klosterkirche in Irsee statt.

Irsee – An Allerheiligen ist es Brauch, auf den Gräbern der Verstorbenen Lichter zu entzünden und der Toten zu gedenken. Auf Anregung des in Irsee lebenden Schriftstellers Robert Domes findet diese Form des Totengedenkens seit 2010 in Kooperation mit dem Schwäbischen Bildungszentrum Irsee und dem Bildungswerk des Bayerischen Bezirkstags auch auf dem ehemaligen Patientenfriedhof hinter der Klosterkirche in Irsee statt.

Mit der von einem Unterstützerkreis getragenen Gedenkveranstaltung wird insbesondere der in der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Irsee ermordeten Patientinnen und Patienten der nationalsozialistischen „Euthanasie“ gedacht.

In diesem Jahr erinnerten Martina Heland-Graef vom Landesverband Bayern der Psychiatrie-Erfahrenen e.V. und Dr. Theo Waigel, Bundesminister a.D., in ihren Gedenkreden an das Leid der in Irsee ermordeten Euthanasie-Opfer des Nationalsozialismus.

Nach der Begrüßung durch den Leiter des Bildungswerkes Irsee Dr. Stefan Raueiser erinnerte sich Martina Heland-Graef daran, dass sie dieses Jahr zum sechsten Male Lichter für die hier begrabenen Opfer entzündete. Aufgrund ihrer langjährigen Arbeitserfahrung im Bereich der Psychiatrie wünschte sie sich, dass die Gesellschaft und die Politik aus der Vergangenheit gelernt hätten und heute eine Betreuung ohne Zwang und Gewalt möglich sein müsse. „Nach so langer Zeit denke ich immer nur mit Grauen an die Taten von Menschen an Menschen.“

Unvereinbare Gegensätze

Am Ende erinnerte Heland-Graef an die Worte des österreichischen Komponisten und Kabarettisten Gerhard Bronner: „Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.“

Konsequenzen ziehen

„So wie vor Gott jeder einen Namen und die gleiche Würde besitzt, so soll auch den unschuldig ermordeten Euthanasieopfern ihr Name und ihre menschliche Würde wiedergegeben werden.“ Mit diesen Worten begann Dr. Theo Waigel seine Ansprache bei der Gedenkfeier „Lichter gegen das Vergessen“ an diesem regnerischen Spätnachmittag in Irsee. „Wenn wir ihr Vermächtnis und ihr Opfer ernst nehmen, die Konsequenzen für die Zukunft ziehen und dies den nächsten Generationen weitergeben, dann sind die hier zu Tode kamen nicht umsonst gestorben.“

Nach Waigels Auffassung hat es viel zu lang gedauert, bis erforscht und dokumentiert wurde, was in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geschehen ist. Falsche Scham habe zum Verschweigen, Verdrängen und Vertuschen geführt. Dazu beigetragen hätte auch eine von vielen alten Nationalsozialisten durchsetzte Justiz, deren Urteile dem Recht Hohn sprachen. Um so mehr bedankte sich der Bundesminister a.D. unter anderem bei Professor Michael von Cranach, dem früheren Chefredakteur der Heimatzeitung Gernot Römer, den Autoren Robert Domes und Ernst Mader, dem Filmemacher Leo Hiemer, dem Akademiedirektor Stefan Raueiser für die Aufarbeitung des Geschehens, das nicht vergessen werden dürfe und zur Mahnung für die Zukunft werde. Erinnerung gebühre nach Aussage von Theo Waigel auch den Mutigen, die damals dem tödlichen Wahnsinn widerstanden und versucht hatten, den unschuldigen Opfern zu helfen.

Bezogen auf die heutigen Zeiten mahnte der inzwischen 83- jährige Waigel: „Wenn in einigen Städten Deutschlands sich Tausende zusammentun und unsere demokratische Ordnung in Frage stellen, wenn Flüchtlingsunterkünfte brennen und nationalistische Parolen erschallen, wenn Sympathie und Verständnis für den Aggressor Putin geäußert wird, und einer selbstbewussten Nation ihre Identität abgesprochen wird, ist dies ein alarmierendes Zeichen. Unsere moralische und demokratische Pflicht ist es, für die Grundwerte unserer Verfassung einzustehen, die Feinde der Demokratie zu entlarven, die Freiheit und Integrität nach außen und innen zu verteidigen und allen Versuchen von Nationalismus und Rassismus zu begegnen. Das sind wir den Opfern, deren wir heute gedenken, schuldig.“

Mit einem Gedankenaustausch innerhalb der Bildungsstätte, an der ein Großteil der anwesenden Menschen teilnahm, endete die Gedenkveranstaltung am ersten Novembertag.
Von Jürgen Wischhöfer

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