„Ronja Räubertochter“ im Tänzelfestrondell
Kaufbeuren – Alle zwei bis drei Jahre inszeniert die Kulturwerkstatt ein Stück, bei dem alle, alle, alle mitspielen können. 2016 glänzten sie mit „Peter Pan“. Diesmal hatten Simone Dopfer und Martina Quante Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ dramatisiert, wobei die Räuberburg des Originals zur Geisterbahn „Höllenschlund“ mutierte und die Räuber zur Schaustellertruppe, deren Chefs, Ronjas Vater Mattis und Birks Vater Borka, auf dem Schwarzmarkt mit „zufällig gefundener“ Elektroware einem kleinen „Nebenerwerb“ nachgehen. Im Tänzelfestrondell erfüllte sich der Traum sämtlicher Veranstalter von Freilichtspielen: Alle drei Aufführungen fanden an wunderbar lauen Sommerabenden statt.















In dem Stück wirken rund 150 Kulturwerkstatt-Mitglieder aller Altersklassen auf oder hinter der Bühne mit. Dem Regieteam Simone Dopfer und Nadja Ostertag war es wieder gelungen, abgesehen von den elf Sprechrollen, auch jede der (fast) stummen Gruppen mindestens einmal ins Rampenlicht zu rücken: Die 24 „Räuber“ des Mattis-Clans, die zwölf „Räuber“ der Borka-Sippe und 76 „Kinder aus der Umgebung“, die vom Schaustellerlager mit Geisterbahn und Gruselkabinett und Geschichtenerzähler Glatzenper immer wieder magisch angezogen werden.
Titelfigur Ronja wurde von Emily Simpson verkörpert, die 2016 bereits als Pippi Langstrumpf begeistert hatte. Zu ihrer Sippe gehören als Stimme der Vernunft Mutter Lovis (Gabi Striegl), der fröhlich-leichtsinnige Vater Mattis (Klaus Dopfer), der alte Glatzenper, Ronjas Vertrauter mit der kindlich-freundlichen Seele im wilden Rocker-Äußeren (Thomas Garmatsch), ihre drei Freundinnen (Carlotta Holste, Antonia von Stillfried und Charlotte Wachter), sowie der gutherzige, aber ein wenig minderbemittelte Kleinklipp (Kilian Herbschleb). Mattis‘ größter Konkurrent als Schausteller und auf dem Schwarzmarkt ist Borka, der Besitzer des Gruselkabinetts „Wilddrude“ (Uwe Amberger, 2016 Käpt‘n Hook) mit seiner Frau Undis (glaubwürdig dümmlich-ordinär dargestellt von Nadja Ostertag) und seinem pfiffigen Sohn Birk (Leo Schmidt).
Eines Tages macht sich die Borka-Sippe direkt neben dem Lager von Mattis breit. Zoff ist vorprogrammiert. Als sich Ronja und Birk das erste Mal begegnen, sind sie sich – dem Beispiel der Erwachsenen folgend – nicht sonderlich grün. Aber der Schrecken über einen lautstarken Testlauf der „Wilddrude“ treibt sie einander buchstäblich in die Arme – gemeinsames Lachen verbindet und sie werden Freunde. Trotzdem pinkelt Birk boshaft ans Auto von Mattis und wird dabei von Mattis erwischt und festgehalten. Ronja läuft aus Protest zu Borka über. Als Ronja dabei von Mattis Nebenerwerb erfährt, stellt sie ihn zur Rede: „WAS hast Du genommen, das nicht Dir gehört?“ Mattis ist zutiefst in seinem Stolz verletzt von Ronjas „Verrat“ und verkündet „Ich habe keine Tochter!“. Borka dagegen beschuldigt seinen auf den Gruppendruck hin wieder freigelassenen Sohn, mit dem Feind zu fraternisieren. Birk sieht Ronja nämlich jetzt als seine „Schwester“ an. Weil beide Kinder nicht zur feindseligen Sturheit der Erwachsenen durchdringen, laufen sie weg und verbringen den Sommer über ein freies Leben im Wald.
Die beiden Lager gehen einander seitdem trübselig aus dem Weg, aber es gibt immer wieder kleine Sticheleien. Als Borka ein rotes Herz auf Mattis Windschutzscheibe sprüht, läuft das Fass über und es kommt beinahe zur handgreiflichen Auseinandersetzung. Glatzenper regt sich darüber dermaßen auf, dass er im Kreis der betroffen um ihn herum stehenden beiden Sippen und der hinzugekommenen Kinder aus der Umgebung einem Herzanfall erliegt. Das bringt Ronja und Birk zurück. Damit Glatzenper nicht vergebens gestorben ist, reichen Mattis und Borka einander widerwillig die Hand und Ronja versöhnt sich mit ihrem Vater. Ende gut, alles gut.
Besonders gut gelungen war auch wieder das Bühnenbild von Thomas Garmatsch und dem Kulturwerkstatt-Team: Nicht nur kamen die beiden Schaustellersippen tatsächlich mit Wohnwägen angefahren, die von abenteuerlich bemalten, verbeulten Rostlauben mit den Nummernschildern „M-AT-TIS“ und „B-OR-KA“ gezogen wurden, sie bauten auch tatsächlich zwei gruselige Fahrgeschäft-Fronten und Kassenhäuschen auf, die echtes Rummelplatz-Feeling vermittelten. Und schließlich darf auch die passende Live-Musik von Manfred Eggensberger und seiner Band nicht unerwähnt bleiben. Kurz: Es stimmte wieder alles bei dieser für die ganze Familie sehenswerten Aufführung, und das Premierenpublikum im voll besetzten Tänzelfestrondell dankte mit lang anhaltendem Beifall.
von Ingrid Zasche