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»Wem gehört die Stadt?«

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Das komplexe Thema rund um den geplanten Hotelturm haben nun architekturforum allgäu und BDA beleuchtet. © Archiv/Tröger

Kempten – Der Hotelturm am Berliner Platz wäre mit starken, weitreichenden und langfristigen Konsequenzen für Kempten und das Allgäu verbunden. Deshalb haben sich architekturforum allgäu (af) und BDA (Bund Deutscher Architekten) bewusst Zeit für eine fundierte Stellungnahme zu diesem aus ihrer Sicht sehr komplexen Thema genommen.

Es sei unerlässlich, so die Architekten, Fragen zum Städtebau, aber auch zur Stadtentwicklung und zur Verfahrenskultur auf mehreren Ebenen zu stellen, bevor über das einzelne Projekt dieses Hotelturms am Berliner Platz überhaupt diskutiert werden oder gar entscheiden werden könne. Bevor diese Fragen nicht sorgfältig untersucht, in Ruhe mit der Bürgerschaft diskutiert und ausgewogen beantwortet seien, bedeute der Bau eines Hotelturms am Berliner Platz, den vierten vor dem ersten Schritt zu machen, was aus Sicht von af und BDA ein erhebliches Risiko für Kempten darstellen könne. Äußerst kritisch sehen sie den offensichtlich vom Investor aufgebauten Zeitdruck, der überdacht werden sollte. Aus großen städtebaulichen Maßnahmen der jüngeren Vergangenheit in Kempten, zu denen das af kritisch Stellung genommen habe und die inzwischen in der breiten Öffentlichkeit ebenso skeptisch gesehen würden, könnten hier ebenso Lehren gezogen werden.

Für af und BDA stellen sich folgende städtebauliche Fragen:

• Sind weitere bauliche Hochpunkte wie Hochhäuser in Kempten überhaupt gewollt?

• Welche städtebaulichen, funktionalen und wirtschaftlichen Ziele strebt Kempten an, die dann am besten mit oder ohne Hochhäuser erreicht werden können?

• Mit welchem Stadtbild möchte Kempten hier vor Ort und über die Stadtgrenzen hinaus verbunden werden?

• Wenn weitere bauliche Hochpunkte denkbar und gewünscht sein sollten, wo werden diese dann optimal in Bezug auf die historisch gewachsene Stadt und deren charakteristische Landschaft und markante Topographie angeordnet?

• Soll die bauliche Freihaltung der grünen Hänge entlang des Illertals, wie die an der Keckwiese, auch zukünftig städtebauliche Regel bleiben?

• Basiert eine städtebauliche Entwicklung am Berliner Platz bzw. auf der Keckwiese – ob Hochhaus oder nicht – konzeptionell und inhaltlich auf den Zielen der Vorbereitenden Untersuchung für die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen im Bereich Berliner Platz und Artilleriekaserne, die bereits begonnen wurde, und mit den Zielen des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (ISEK) zum Fokusgebiet II – Konversionsgebiet Berliner Platz?

Bei der Stadtentwicklung sowie der Verfahrenskultur stellen af und BDA zudem folgenden Fragen und stellen entsprechende Forderungen zur Diskussion:

• Wie kann die Stadt Kempten eine aktivere und vorausschauendere Stadtentwicklung betreiben statt defensiv und schnell reagieren zu müssen, wenn ein Investor auf den Plan tritt und dann nahezu uneingeschränkt bestimmt, welche funktionalen oder wirtschaftlichen Programme und welcher Städtebau umgesetzt wird?

• Dies hat mit Planungsprozessen und insbesondere mit einer Verfahrenskultur zu tun. Es geht dabei um die Frage: Wer entwickelt die Stadt? Wer entwickelt Kempten? Investoren oder in erster Linie die Bürgerinnen und Bürger und ihre gewählten Vertreter?

• Was sollte zuerst da sein? Die Anforderungen des Investors oder die Ideen aller Akteure Kemptens und die Erfordernisse der Stadtbewohner mit dem entsprechenden Programm für den Ort, der entwickelt und bebaut werden soll? Der bekannte Stadtplaner Prof. Karl Ganser äußert sich dazu in „Wege zur Baukultur – Heimat schützen, Heimat schüren“ eindeutig: Bevor gebaut wird, sollte geprüft werden, „ob es einen besseren Standort, ein verträglicheres Programm und einen Investor mit mehr Baukultur geben könnte. Die Suche nach Alternativen kann mit einem ‚Programm-Wettbewerb‘ organisiert werden.“

• Wenn das Programm und der für den Bauort passendste Investor gefunden ist und städtebauliche Fragen beantwortet sind, ist es sinnvoll, einen geregelten städtebaulichen Wettbewerb durchzuführen. Solch eine Auslobung wurde wohl auch in der nichtöffentlichen Sitzung des Gestaltungsbeirats gefordert, die hier unterstrichen werden soll, mit gleichzeitigem Hinweis auf die Notwendigkeit genannten Prozessschritte einzuhalten, auch um letzte Mittel wie die eines Bürgerentscheids vermeiden zu können. An dieser Stelle sehen af und BDA im Interesse eines transparenten und offenen Planungsprozesses auch die Erfordernis, dass der vom Stadtrat eingesetzte Gestaltungsbeirat das Projekt Hotelturm baldmöglichst in öffentlicher Sitzung behandelt.

• Die Frage einer vorausschauenderen und strategischen Stadtentwicklung betrifft auch ein strukturelles Manko innerhalb der Stadtverwaltung, wo derzeit Stadtentwicklung und Stadtplanung zwei unterschiedlichen Referaten zugeordnet sind und außerdem das eminent wichtige Tätigkeitsfeld der Stadtentwicklung im Vergleich zu anderen Städten in der Größe Kemptens mit zu wenig Stellen ausgestattet ist. Damit können die Weichen für die Allgäu-Metropole alleine kapazitätsmäßig und inhaltlich nicht weitblickend genug gestellt werden. BDA und af regen an, Stadtentwicklung und Stadtplanung zusammenzuführen und entsprechend personell auszustatten.

• Zu einer zeitgemäßen Verfahrenskultur und zur Frage, wer Kempten entwickelt, also eigentlich, wem die Stadt „gehört“, zählt schließlich auch die Beteiligung der BürgerInnen und die Mitwirkung aller Akteure in der Stadt an einem solchen städtebaulichen Projekt. Hier widersprechen BDA und af dem Investor mit Nachdruck, der laut Presse ein öffentliches Mitspracherecht wie seinerzeit am Hildegardplatz keinesfalls möchte. Da ein Hotel in einer solchen Größenordnung über die Stadtgrenzen ausstrahlen würde, sollte es möglich sein auch eine regionale Perspektive bei der Planung einzunehmen, damit das „Allgäu“ nicht nur eine Marke ist, sondern auch gelebte Zusammenarbeit bedeutet. Wirkliche und ernstgemeinte Bürgerbeteiligung ist heute nicht mehr wegzudenken und aktiv zu betreiben, wenn Projekte nachhaltigen Nutzen für alle bringen sollen – auch für die Investoren. Aus diesem Grund können einzelne Projekte, wie der Hotelturm, nicht von einer Bürgerbeteiligung ausgenommen werden. Eine aktive Bürgerbeteiligung oder besser Stadtentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe sollte kontinuierlich und nicht nur punktuell bei einzelnen Projekten gemacht werden und am Ende auch sichtbare Wirkung zeigen, wenn sie und das damit verbundene Projekt erfolgreich sein sollen. Diese innovative Art der Stadtentwicklung und Verfahrenskultur kann für Kempten zum Standortvorteil werden und entscheidend zur Lebensqualität ihrer Bürgerinnen und Bürger und Gäste beitragen, so die Architekten. kb

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