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Darum sagen vier Stadträte „nein“ zum Kemptener Etat 2023

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Von: Christine Tröger

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Sparschwein Taschenrechner und Unterlagen
Von einer Investitionshöhe, die es bislang so noch nicht gegeben hat, sprach OB Thomas Kiechle zum Abschluss der Kemptener Haushaltsberatungen für das Jahr 2023. © Symbolbild: Bildagentur PantherMedia / pogonici

Kempten – Durch „die steigende Inflation laufen den Kommunen die Ausgaben davon“, eröffnete Oberbürgermeister Thomas Kiechle die Abschlussreden zu den Haushaltsberatungen. Stimmen aus Verwaltung und Fraktionen zum Kemptener Etat 2023.

Allen Krisen zum Trotz sei das letzte Jahr „aus haushaltswirtschaftlicher Sicht erstaunlich stabil“ gelaufen, durch „die steigende Inflation laufen den Kommunen allerdings die Ausgaben davon“, sagte Kiechle. So sei ein Ziel, die Schulden zu begrenzen, „um handlungsfähig zu bleiben“. Im Jahr 2023 investiere die Stadt allerdings in einer Höhe, die es „bislang nicht annähernd gegeben“ habe, wobei die Themen Bildung und Betreuung einen Schwerpunkt bildeten. „So Gott will, finden wir das Personal dann auch noch“, so die Hoffnung.

Die „fetten Jahre“ sind aus Sicht von Oberbürgermeister Thomas
Kiechle erst einmal vorbei. Die anstehenden Haushaltsberatungen
dürften für einigen Diskussionsstoff im Gremium sorgen
Oberbürgermeister Thomas Kiechle. © Archivfoto Tröger

Kultur „tragende Säule“ der Stadtentwicklung

Oberbürgermeister Thomas Kiechle: Die strategischen Ziele sollen ausgewogen berücksichtigt werden, „alle Ziele hängen zusammen, keines dominiert“. Nun, da der Bau der Dreifachsporthalle durch Beauftragung des KKU erfolgen könne, wolle er auch die neue Stadtbibliothek „nicht aus den Augen verlieren“ und nach einer Lösung suchen.

Für den Klimaschutz müsse eine „nachhaltige Mobilität stringent“ verfolgt werden. „Niemals zuvor haben wir so viel in den ÖPNV investiert wie 2023“, und mit der Tarifharmonisierung zwischen Kempten und dem Oberallgäu folge nun „ein weiterer großer Schritt“. Darüber hinaus sei man offen „für neue Formen der Mobilität“.

Im Rahmen von Smart City kündigte Kiechle ein „öffentliches Digitallabor“ In der Brandstatt an, das auch den Weg weise, „wo es zukünftig mit der Innenstadt hingehen wird“. Deren Attraktivität werde künftig weniger vom Handel, als einer größeren Nutzungsvielfalt abhängen. Ein zentrales Stadtmarketing sei dabei „ein wichtiger Pfeiler“.

Auch die Kultur werde „zunehmend zu einer tragenden Säule der Stadtentwicklung“. Neben einer eigenen Kulturförderung entwickle sich das Zumsteinhaus „immer mehr zur Drehscheibe für einen breit angelegten Diskurs aktueller Themen der Stadtentwicklung“ und der APC gewinne deutschlandweit an Renommee, „nicht nur bei einschlägigen Wissenschaftlern“. Ein „unterschätzter Mosaikstein“ komme heuer mit dem Museumsdepot dazu.

Besonders in diesen schwierigen Zeiten habe es ihn „sehr gefreut, mit welcher Geschlossenheit und Offenheit die schwierigen Haushaltsberatungen von statten gingen“. Abgesehen von vier Stadträten – Michael Hofer, Franz-Josef Natterer-Babych (beide ödp) sowie Tatjana Preuß und Walter Freudling (beide AfD) – stimmte das Stadtgremium dem Haushalt 2023 zu.

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Neuverschuldung, prognostiziert Stadtkämmerer Matthias Haugg. © privat

Perspektive: „Chronische Unterfinanzierung“

Stadtkämmerer Matthias Haugg: „Makroökonomisch werden wir seit Jahren von Krisen geschüttelt“, war sich Haugg dennoch sicher, „dass wir die Auswirkungen auf unseren städtischen Haushalt auch diesmal beherrschen können.“ Schließlich seien die Gewerbesteuern 2022 „gut geflossen“ und auch die Zuweisungen seien unerwartet hoch ausgefallen. Dennoch würden die u.a. steigenden Energiepreise natürlich Auswirkungen haben.

Trotz positiver Prognosen seitens der Bundesregierung „gehen wir von einer Rezession aus“. Ziemlich sicher sei, dass die Stadt ab 2024 Schulden aufnehmen müsse. „Unsere finanzielle Misere ist definitiv nicht hausgemacht“, sondern liege an den hohen Investitionen. Dabei leiste sich Kempten keine Besonderheiten, sondern erfülle die hohen Vorgaben durch Bund und Freistaat. So sei in den kommenden Jahren „chronische Unterfinanzierung“ zu erwarten und damit einhergehend sinkende Rücklagen und wachsende Schulden.

Prof. Dr. Robert F. Schmidt (CSU) Kempten Stadtrat
Prof. Dr. Robert F. Schmidt (CSU) © privat

Politische Ebenen besser verzahnen

CSU: Von einer einigen Experten zufolge „schleichenden Deindustrialisierung“ sprach Prof. Robert F. Schmidt, wodurch die Investitionstätigkeit gehemmt werde. Investitionen würden aber letztlich die Einkommen und damit den Wohlstand der Bevölkerung bestimmen. Auf kommunaler Ebene sei „mittelfristig mit einem Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen zu rechnen, wenn der Effekt der Corona-Hilfen abebbt“. Somit sei es „bedeutsamer denn je“, die Investitionskraft der Kommunen“ – respektive auch der Stadt Kempten – „zu erhalten und zu stärken“.

Bei der Konzentration auf das Wesentliche habe für die CSU-Fraktion oberste Priorität der Bereich Bildung mit Schulen und Kitas. Für die Verwirklichung des Neubaus von Stadtbib­liothek und Vhs wolle man ein Finanzierungsmodell entwickeln und nach innovativen Lösungen für den Bahnhofsvorplatz in Verbindung mit der Neugestaltung der ZUM suchen. Nach hinten in die Jahre 2027 bis 2033 „rücken die Sanierung der Allgäuhalle und ein Neubau der Feuerwehr“.

Schulden seien „nicht per se negativ“, solange sie für „nachhaltige Investitionen eingesetzt werden“. Was sich im Haushalt bemerkbar mache, seien die deutlich gestiegenen Ausgaben für soziale Leistungen und Hilfen. Nötig sei auch eine „engere Verzahnung“ von Kommunalpolitik mit Landes- und Bundespolitik, da auf den höheren politischen Ebenen Erwartungen in der Bevölkerung geweckt würden, die sich „in der Praxis des kommunalen Alltags kaum realisieren lassen“.

Kemptens Stadtrat Andreas Kibler von den Freien Wählern ÜP
Wenig Zurückhaltung bei Gewerbe- und Neubauflächen fordert FW-Stadtrat Andreas Kibler. Er wünscht sich auch keine allzu rigiden Abschreckungsmaßnahmen für den KfZ-Verkehr, sondern ein „Sowohl-als-auch“. © privat

Verwaltungshaushalt deutlich stärken

Freie Wähler: Als „schwindel­erregend hoch“ bezeichnete Andreas Kibler die Kosten in Höhe von 45 Millionen Euro für die Ertüchtigung des Carl-von-Linde Gymnasiums – Kosten, die seines Erachtens mit einer früheren Konzeption sicher niedriger ausgefallen wären. Dennoch würden die Freien Wähler die Umsetzung begrüßen; ebenso das „vernünftige Finanzierungsmodell über das städtische KKU“ für die Dreifachsporthalle.

Ein „zentrales Ziel der kommunalen Arbeit“ müsse die deutliche Stärkung des Verwaltungshaushaltes sein, „und damit finanzielle Nachhaltigkeit zu erreichen“.

Kontraproduktiv für die wirtschaftliche Entwicklung – und die benötigte Steuerkraft Kemptens – sei Zurückhaltung in der Ausweisung von Gewerbe- und Neubauflächen sowie „allzu rigide Abschreckungsmaßnahmen für den KfZ-Verkehr“ in die Innenstadt. Zu bevorzugen sei ein Sowohl-als-auch für alle Verkehrsteilnehmer. Begrüßenswert sei, dass sowohl die Kunst- und Kulturförderung als auch die Sportförderung in diesem Jahr „so hoch wie nie ausfällt“.

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„Festhalten an vermeintlich Bewährtem, etablierter Bequemlichkeit und liebgewonnenen Gewohnheiten wird mutmaßlich scheitern“, prognostizierte Thomas Hartmann (Die Grünen). © privat

Nur der Wandel bringt Rettung

Die Grünen: Es waren recht dystopische Szenarien für die Menschheit, die Thomas Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Stadtrat-Grünen, vor seinen Gremiumskolleginnen und -kollegen entfaltete. Was er damit vermitteln wollte: „Festhalten an vermeintlich Bewährtem, etablierter Bequemlichkeit und liebgewonnenen Gewohnheiten wird mutmaßlich scheitern.“ So sei seine Haushaltsrede „ein Plädoyer, vorausschauend und durchaus schonungslos mögliche Entwicklungsszenarien für unsere Stadt anzudenken“.

Für ein zukunftsfähiges Mobilitätsangebot sei es „reine Fantasie zu glauben, wir würden im Jahr 2050 immer noch jeder mit seinem liebgewonnenen Auto umherfahren und uns über fehlende Parkgelegenheiten beklagen“. Die eh knappen Räume in unserer Stadt „sind zu wertvoll, um Blech darauf zu stellen“. Auch eine „sozial gerechte Bodennutzung sei erforderlich. Kapazität und Kompetenz des Klimaschutzmanagements müsse erhöht werden, „um die Klimagasfreisetzung erheblich zu mindern“. Auf Sicht fahren sei für eine verantwortungsvolle Politik „einfach nicht ausreichend“.

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Nach wie vor ein heißes Eisen: Die Wohnraumsituation. Es braucht einen Runden Tisch dazu, findet Katharina Schrader (SPD). © privat

Wohnen weiterhin Kernthema

SPD: Für „wahrlich harmonische Haushaltsberatungen“ bedankte sich Katharina Schrader bei allen Beteiligten. Trotz einer angespannten Haushaltslage und unsicheren Prognosen habe man nicht nur Pflichtaufgaben erfüllt, sondern auch ein Kulturförderprogramm auf den Weg gebracht. „Dankbar“ war Schrader, dass für das Jugendzentrum Kempten Ost/Bühl „eine neue Lösung angestrebt wird“.

Ein besonders brennendes Thema sei die Wohnungsmarktsituation in der wachsenden Stadt mit nur begrenzt zur Verfügung stehender Fläche, erinnerte sie an zwei Anträge der SPD-Stadtratsfraktion, zum Umgang mit Zweckentfremdung von Wohnraum, Grund und Boden, sowie zur Beschäftigung mit einer Baulandpolitik. Darüber hinaus regte sie einen „Runden Tisch Wohnen“ an, zum Austausch mit Wohnbaugesellschaften, Eigentümern und Unternehmerschaft – für letztere ein Thema bei der Mitarbeitergewinnung.

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Enttäuscht seigte sich FDP-Mann Ullrich Kremser darüber, wie Beschlüsse des Kemptener Stadtrats teilweise abgearbeitet würden. © privat

Mehr Miteinander im Verkehr

FDP: „Kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem“, machte Ullrich Kremser für den Kemptener Haushalt aus. Erleichtert äußerte er sich, dass die Erhöhung der Grundsteuer B „nicht zum Zuge kam“, was einer Zustimmung für die FDP-Stadtratsfraktion unmöglich gemacht hätte.

Enttäuscht sei er hingegen darüber, wie Beschlüsse des Gremiums teilweise abgearbeitet würden. So sei beschlossen gewesen, den Ausbau der Zumsteinwiese um eine Million Euro „einzudampfen“, stattdessen seien zwei Millionen Euro mehr ausgegeben worden. Für den innerstädtischen Verkehr wünschte er sich „ein Miteinander mit Respekt und Rücksicht“. Dagegen habe er manchmal den Eindruck, „dass nur teure Radvorschläge zählen“.

Bezahlbarer Wohnraum entstehe nicht durch mehr Vorschriften und auch Fachkräfte könne man „nicht aus dem Hut zaubern“, sondern nur versuchen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Er bedauerte, dass wieder keine Priorisierung für den städtischen Haushalt stattgefunden habe, sondern „übergestülpt“ worden sei, nach dem Motto: „Wo das Geld reicht, wird investiert und dann machen wir neue Schulden“.

Franz Josef Natterer-Babych, ödp
Wie Franz Josef Natterer-Babych findet, sei die „Energie- und Umweltpolitik der Stadt Kempten im Bereich Kommunikation und Management gut“, hinke im Umsetzungsbereich aber hinterher. © privat

Zu wenig Energiewende in Kempten

UB/ödp: „Fehlende Tendenzen, die Energiewende aktiv anzugehen“ waren für die Stadträte von UB/ödp der Grund den Haushalt 2023 abzulehnen. Wie Franz Josef Natterer-Babych festhielt, sei die „Energie- und Umweltpolitik der Stadt Kempten im Bereich Kommunikation und Management gut“, hinke im Umsetzungsbereich aber hinterher. Energiewende und Investitionen in regenerative Energien seien für unsere Gesellschaft aber „der Garant für Wohlstand und einen gesunden Mittelstand“.

Ferner bleibe die Familienfreundlichkeit „auf der Strecke“. Die Fußgängerzone sei nach wie vor für Kinder uninteressant und das Fahrrad und Kinderwägen auf dem Wochenmarkt seien als störend bezeichnet worden. „Familienfreundlichkeit kann mit dieser Diskussionsgrundlage nicht wirklich gelebt werden.“

Auch für das Beginenhaus sei noch immer keine Lösung gefunden worden, um es für eine familienfreundliche Gesellschaft nutzbar zu machen. Kempten rühme sich „Schulstadt“ zu sein, sorge aber nur in unzureichendem Maße für Radabstellplätze und Parkplätze für Berufsschüler.

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„Demokratie geht nämlich anders“, findet Walter Freudling (AfD). © privat

Zu wenig Demokratie im Gremium

AfD: Walter Freudling führte vor allem die mangelnde „Spiegelbildlichkeit des Wahlergebnisses in den Ausschüssen“ ins Feld, weshalb die beiden AfD-Stadträte den Haushalt ablehnten. „Demokratie geht nämlich anders.“

Neben weiten Teilen zur Bundespolitik ging er in seiner Rede unter anderem auf den auch in Kempten sichtbaren Lobbyismus ein – „Lobbyisten sind keine gewählten Volksvertreter“ – und das „Verteufeln des Individualverkehrs wird immer mehr ein Problem“. So habe der Umbau der Bahnhofstraße „zu keiner signifikanten Verbesserung geführt“, teilweise sogar zu einer Verschlechterung.

In die Bresche sprang er für die Montagsspaziergänger, deren Aussagen für den Frieden die AfD unterstütze „und deshalb laufen auch viele von der AfD mit“. Positiv bewertete er die Baumaßnahmen im Bildungsbereich.

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