Heimat mit rechtsextremistischen Strukturen
Gerne sei sie der Einladung gefolgt, Schirmfrau für die Internationalen Wochen gegen Rassismus im Allgäu zu werden. Die Kulturstaatsministerin stammt selbst aus Babenhausen im Unterallgäu, wie sie weiter erzählte. „Für mich ist Allgäu Heimat. Doch man hatte schon als junger Mensch nicht unbedingt das Gefühl dazuzugehören, wenn man nicht bei der Jungen Union war.“
Inzwischen habe sich ihre Heimat verändert. Gleichwohl gebe es auch im Allgäu aus unterschiedlichen Gründen Diskriminierung. Als Beispiele führte sie Menschen mit Behinderung, Menschen muslimischen Glaubens und homosexuelle Personen an. Weiter sprach sie von „ziemlich gefestigten rechtsextremistischen Strukturen“ im Allgäu, denen sie etwas entgegensetzen möchte. Sie erinnerte in ihrer Rede auch an die Ermordung von Walter Lübcke durch einen Rechtsextremisten. „Der Kampf gegen Rassismus ist übrigens auch der Kampf gegen Sexismus – das erlebe ich selbst jeden Tag im Bundestag“, ergänzte Roth.
Es sei die Aufgabe der Demokraten, die Kultur der Demokratie jeden Tag zu verteidigen und zu beschützen. Die Demokratie sei nicht immun gegen Angriffe. Als Beispiel nannte sie den Sturm von „Demokratieverächtern“ auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021. „Das zeigt, dass wir als Demokratinnen und Demokraten Verantwortung übernehmen müssen.“
Derzeit arbeite sie mit der Bundesregierung daran, dass „wir anerkennen, in welcher Gesellschaft wir leben und die Einwanderungsgesellschaft demokratisch gestalten“. Mit einem modernen Staatsbürgerschaftsrecht, einer umfassenden Antidiskriminierungsgesetzgebung und einem Partizipationsrecht zählte die Kulturstaatsministerin drei Punkte auf, an denen derzeit gearbeitet werde.
Europas tödliche Grenzen
„Wir leben in finsteren Zeiten“, leitete Prof. Dr. Heidrun Friese, Professorin an der Technischen Universität Chemnitz, ihren Fachvortrag mit einem Zitat der Philosophin Hannah Arendt ein. „Nicht nur wegen des fürchterlichen Krieges, sondern auch wegen der Todespolitiken, an die wir uns seit Jahren gewöhnt haben.“ Die Sozialwissenschaftlerin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Migration und Mobilität im Mittelmeerraum, wie sie erzählte. „Europas Grenzen sind die tödlichsten Grenzen der Welt“, meinte Friese und gab an, dass laut der Internationalen Organisation für Migration seit 2014 über 23.500 Menschen im Mittelmeer ertrunken seien oder vermisst würden. „Wir haben uns an diesen tödlichen Alltag gewöhnt.“
Wir seien der Überzeugung, dass in modernen, aufgeklärten, demokratischen, liberalen Gesellschaften, Ungleichheit, Klasse, Rasse und Geschlecht keinen Ort haben sollten, so die Sozialwissenschaftlerin weiter. Oft würde Rassismus in modernen, demokratischen Nationalstaaten als „irrationale Randerscheinung oder moralische Verirrung“ gedeutet und verdrängt. Mit dem Erstarken von Populismus und Rechtsradikalismus, was nicht zuletzt auch durch digitale Medien und digitale Medienräume befeuert werde, hätten sich die Grenzen des Sagbaren deutlich verschoben. Bislang geltende Regeln zivilen Umgangs würden als „Hypermoral“ gebrandmarkt, die unzulässig in die Meinungsfreiheit oder gar Kunstfreiheit eingriffen. Friese ging vor diesem Hintergrund ausführlich auf den institutionellen Rassismus, den Kulturrassismus und den Alltagsrassismus ein. Die Professorin betonte am Ende, dass es letztlich um die politische Frage gehe, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen.
So geht es weiter
Die Internationalen Wochen gegen Rassismus im Allgäu finden mit 37 Veranstaltungen in insgesamt acht Landkreisen und kreisfreien Städten im bayerischen und württembergischen Allgäu statt. Sie enden am 21. Mai mit einer allgäuweiten Fachtagung an der Hochschule Kempten zum Thema „Rassismus – Rassismuskritik – Alltagsrassismus“. Alle Termine sind unter www.fachtagung-allgaeu.de abrufbar. Auf der Website ist außerdem das Video zur einstündigen Auftaktveranstaltung eingestellt.