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»Ich will Spaß, ich geb’ Strom!«

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Kaum Unterschiede zum herkömmlichen Fahrschulauto: Fahrlehrer Martin Braun lotst Tanja Immler mit dem e-Auto durch Kempten. © Matthias Matz

Kempten/Allgäu – „Trau dich! Gib Gas!“ Fahrlehrer Martin Braun muss grinsen, als Fahrschülerin Tanja Immler in einer Kurve irgendwo im Kemptener Hinterland beherzt aufs Gaspedal tritt. Lautlos, dafür umso vehementer beschleunigt der Renault Kangoo auf rund 70 Sachen.

Mehr ist hier nicht erlaubt. Lautlos? Lautlos! Denn bei dem Fahrzeug handelt es sich um kein gewöhnliches Fahrschulauto mit Dieselmotor, sondern um eins mit Elektroantrieb. „Und?“ fragt Braun. „Macht Spaß!“ sagt Immler. 

Der Renault Kangoo Z.E., wie er exakt heißt, ist Teil eines Pilotprojekts der Hochschule Kempten und der Fahrschulen Braun, Fischer und Wolfi’s Fahrschule aus Betzigau. Ziel des seit Sommer laufenden Versuchs ist es, junge Fahranfänger an die Elektromobilität heranzuführen. Gleichzeitig können die Anforderungen der jungen Generation an e-Autos besser erforscht werden. „Wir wollen untersuchen, wie die junge Zielgruppe mit Elektromobilität umgeht und welche Wünsche sie hat“, erläutert Prof. Dr.-Ing. Andreas Rupp, Vizepräsident für Forschung und Entwicklung der Hochschule. Nur so könnten die e-Autos an die Bedürfnisse und Erwartungen der Fahrer von morgen angepasst werden. 

Daher zeichnen die Projektverantwortlichen an der Hochschule nicht nur die Erfahrungen der Fahrschüler auf, sondern auch die GPS- und Batteriedaten von Strom, Spannung und Temperatur und analysieren diese. Die Werte werden schließlich in einer Datenbank gesammelt, um Aussagen darüber zu treffen, ob sich die heutigen Anforderungen der diversen Nutzungsszenarien mit den vorhandenen e-Autos abbilden lassen. Der Versuch mit den drei beteiligten Fahrschulen ist Teil des Forschungsprojekts econnect eE-Tour Allgäu. 

 »Große Akzeptanz« 

Bei den Jugendlichen aus Kempten und der Umgebung kommt das Vorhaben an. Von einer „großen Akzeptanz“ bei ihren Fahrschülern berichten sowohl Martin Braun als auch Alfons Fischer von der Fahrschule Fischer, die sich den Renault mit Wolfi’s Fahrschule teilen. Vor allem für diejenigen, die gerne ihren Führerschein in einem Automatikfahrzeug machen wollen, ist der Kangoo ideal. Denn diesen gibt es eben nur mit einem Automatikgetriebe. Früher als „Opamatik“ verschrieen, sind die Fahrschüler von heute von Automatikgetrieben zunehmend begeistert. „Die Automatik ist eine ziemliche Erleichterung“, freut sich Tanja Immler, die ihre bisherigen Fahrstunden auf einem VW Tiguan mit Dieselmotor und Schaltgetriebe absolviert hat. „Es ist schon einfacher ohne die Schaltung“, sagt sie. Überhaupt sei der Renault mit seinen zwar nur 60 PS, dafür aber mit der Kraft von 190 Nm quasi aus dem Stand heraus „angenehm zu fahren“. 

„Viele sind von der Beschleunigung schon angetan“, berichtet Alfons Fischer. Denn statt Turboloch wie beim gewöhnlichen Fahrschul-Diesel, wetzt das Stromer-Auto sofort mit seiner ganzen Kraft los. Und das ganz ohne lästiges Diesel-Gerumpel und Gestank. „Man kann das Auto vor allem Überland richtig sportlich fahren“, schwärmt auch Martin Braun. Und in der Stadt sei ein Automat sowieso viel angenehmer zu fahren als ein Auto mit Schaltgetriebe.

 Geringe Reichweite 

Doch über die spaßige Beschleunigung und den Umweltschutzgedanken hinaus bieten e-Autos weitere Vorteile im alltäglichen Fahrbetrieb. So ist die Verzögerung durch die Motorbremse zwar zunächst gewöhnungsbedürftig, doch diesen Dreh haben auch Ungeübte schnell raus. Zumal das Fahrzeug beim Gaswegnehmen sofort beginnt zu rekuperieren. Das heißt, die Bremsenergie wird sofort wieder in Strom umgewandelt. Dazu kommt das fast lautlose Dahingleiten. Die offenkundigen Nachteile wie eine geringe Reichweite – der Renault Z.E. schafft abhängig von Fahrstil und Umgebung 140 bis 170 Kilometer, ehe er wieder an die Steckdose muss – und der fehlende Komfort (Sitzheizungen usw. würden die Batterie zu sehr belasten) – spielen bei den Jungen dagegen anscheinend nicht die große Rolle. 

Diesen attestieren Fischer und Braun heute ein viel höheres Umweltbewusstsein als früher. Außerdem habe sich die Bedeutung des Autos bei den jungen Generationen verändert. Kaum noch jemand sehe darin eine Art Statussymbol, erzählen sie, sondern lediglich ein Mittel zur Fortbewegung. „Die geringe Reichweite sehen sie auch nicht so als Störfaktor.“ Zumal die Reichweite der Batterie in der Regel für einen Ausflug im heimischen Allgäu eigentlich immer reiche. 

Die beiden Fahrschullehrer selbst sind von der Zukunft der e-Autos überzeugt – zumindest unter bestimmten Voraussetzungen. „Vor allem in Großstädten und Ballungszentren wird es sich durchsetzen“, sagt Alfons Fischer. „Auch für Pendler wird es interessant.“ Martin Braun stellt sich unterdessen vor, wie es wäre, wenn in Kempten nur noch mit e-Autos gefahren werden würde. „Kempten wäre eine lärmlose Stadt.“ Für eine flächendeckende Nutzung von e-Autos müssten aber zunächst noch einige Probleme gelöst werden, so die beiden erfahrenen Fahrlehrer. Vor allem müssten viel mehr Ladestationen errichtet werden. Derzeit sei ein e-Auto eigentlich nur für Eigenheimbesitzer interessant. Was die E-Mobilität betrifft, sieht Alfons Fischer insbesondere die Politik in der Pflicht. „Ohne die geht gar nichts!“ Tatsächlich scheint der e-Auto-Boom in Kempten vorerst vorbei zu sein. 

„Des Weiteren zeigt (….), dass die 2005 einsetzende Dynamik bei Erdgas- als auch Elektrofahrzeugen seit 2010 wieder leicht abnimmt“, heißt es dazu im „Masterplan 100% Klimaschutz bis 2050“ der Stadt Kempten, der unlängst vorgestellt wurde (der Kreisbote berichtete). Große Hoffnungen der Branche liegen daher nun auf dem kürzlich vorgestellten, durchaus spektakulären i3 von BMW, der dem darbenden e-Auto-Dasein in Deutschland neues Leben einhauchen soll. Vielleicht wird Brauns Scherz dann doch Realität. „Ein Relikt aus alter Zeit“, flachst er, als er und seine Schülerin auf dem Rückweg an einer Tankstelle vorbeifahren, vor der die Autos Schlange stehen.

Matthias Matz

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