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Gegen das Vergessen

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Johann Georg Gauter (Mitte) und Ibo Gauter (r) von der „Initiative Stolpersteine“ erinnern in der Rathausstraße an ehemalige jüdische Mitbürger. © Hutter

Rund 30 Menschen versammelten sich vergangenen Sonntag am Sigmund-Ullmann-Platz in Kempten, um der Pogromnacht vom 9. November 1938 und deren jüdischen Opfern zu gedenken.

Der Gedenkgang führte vom Müßiggängelzunfthaus zum Friedensplatz am Stadtpark. Er wird von der „Initiative Stolpersteine für Kempten und Umgebung“ veranstaltet und findet seit 2006 alljährlich statt. Ein Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft führte die blau-weiße Israel-Flagge mit; als Vertreterin der Stadt war die Kulturbeauftragte des Stadtrates Silvia Rupp anwesend. Ibo Gauter von der „Initiative Stolpersteine“ erinnerte zu Beginn an den langjährigen Vorsteher der jüdischen Gemeinde Kemptens Sigmund Ullmann (1854-1943), der 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert worden war. Danach setzte sich die schweigende Gruppe mit Kerzen und Laternen durch die fast menschenleere Innenstadt in Richtung Rathausstraße in Bewegung. Dort befinden sich vor den Hausnummern zwei und fünf insgesamt vier „Stolpersteine“. Die „Stolpersteine“ sind zehn mal zehn cm große Messingplatten, die vor der letzten selbstgewählten Wohnstätte jüdischer Bürger im Gehsteig einbetoniert sind und an deren Schicksal gemahnen sollen. Eine Gravur nennt jeweils den Namen und die Lebensdaten, den Zeitpunkt und Ort der Deportation. Diese Gedenkplatten werden seit 1992 von dem Kölner Künstler Gunter Demnig in vielen deutschen und europäischen Städten gesetzt; bisher sind es mehr als 33.000. In Kempten, das nur eine kleine jüdische Gemeinde besaß, begann das öffentliche Gedenken an das Schicksal der jüdischen Mitbürger im Dritten Reich erst Ende der 1980er Jahre. Im Jahr 1933 wohnten hier etwa 62 Juden und „Halbjuden“, die bestens in der Stadt integriert waren. Es gab hier keine Synagoge, die in der sogenannten „Reichskristallnacht“ abgefackelt oder wie in Memmingen geplündert und abgetragen werden konnte. Der von der jüdischen Gemeinde angemietete Betraum im Landhaus am Hildegardplatz blieb wie der jüdische Friedhof in der Pogromnacht unangetastet. Dem damaligen Oberbürgermeister Dr. Otto Merkt ist es zu danken, dass die Kultgegenstände der Gemeinde auch heute noch existieren. Merkt konnte aber den Anschlag auf das Haus des Viehhändlers Löw in der Bahnhofstraße ebensowenig verhindern wie die willkürlichen Verhaftungen in den folgenden Tagen. In Kempten sind seit 2010 genau 22 „Stolpersteine“ verankert worden. Johann Georg Gauter erinnerte in der Rathausstraße an die zahlreichen Schikanen, denen die Juden im Dritten Reich ausgesetzt waren und legte an jedem Stein eine weiße Rose nieder. Ibo Gauter rezitierte am „Stolperstein“ für Elvira Stein ein Gedicht von Wolfgang Bächler. Am nächsten Halt vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Kohn an der Klostersteige wurden drei weiße Rosen niedergelegt. Das Schuhhaus der Gebrüder Kohn, auch heute noch vielen älteren Kemptenern ein Begriff, war nach 1938 wie die anderen sechs hiesigen jüdischen Geschäfte „arisiert“, das heißt enteignet und in deutschen Besitz überführt worden. Mehrere Familienmitglieder waren in KZs deportiert worden; nur Bruno Kohn überlebte und eröffnete - als einziger der wenigen jüdischen Rückkehrer - 1946 erneut ein Geschäft in Kempten. Gauter erinnerte an das Schicksal der Familie Kohn und gab seinem Ärger über das vor kurzem am KZ Dachau gestohlene Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ Ausdruck. Am Friedensplatz, wo die Israelitischen Kultusgemeinden Bayerns 1995 ein Denkmal für die Kemptener Juden errichtet hatten, endete die Gedenkveranstaltung. Hier wurde den zwei polnischen Zwangsarbeitern in Weidach und einer Sinti-Familie in Hellengerst gedacht, die im Dritten Reich ermordet worden waren. Ihnen sind erst in diesem Jahr „Stolpersteine“ gesetzt worden.

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