Die fabelhafte Welt des Matthias Schriefl

Kempten – Einzug der Gladiatoren in den Innenhof von Kemptens Residenz, Sancho Panza und Don Quijote proben den Corona-Aufstand oder eine Polonaise Blankenese, die ihren Rückhalt verloren hat. Es gäbe viele Untertitel alleine für den Beginn des Konzerts von Matthias Schriefl und Christian Wegscheider am letzten Samstag, als sie wie eine Zwei-Mann-Marching-Band aus New Orleans trompete- und akkordeonspielend die Zuhörerreihen entlang auf die Bühne schritten.
Der eine hatte eine knielange Lederhose von der feinen Sorte an und ein afrikanisch buntes Hemd, der andere einen altmodisch geschnittenen Anzug aus einem Stoff mit lauter schwarz-rot-goldenen Karos. Auf dem Kopf eine Fin-de-Siècle-Schaffnermütze oder war es eher eine Schiffermütze, die er das ganze Konzert lang nicht mehr abnahm. Kaum auf der Bühne wurde ins Programm eingestiegen mit dem Hinweis, das sei die Zugabe gewesen, sie machten das, weil in den Konzerten immer das halbe Publikum nach der Halbzeit ginge, und so könnten alle die Zugabe miterleben.
Es zündete ein zweistündiges Feuerwerk aus musikalischen und anderen Einfällen, bei dem alle denkbaren Instrumentenkombinationen mit dem Konzertflügel, dem Akkordeon, dem Fenderpiano und Blechblasinstrumenten von der Tuba bis zur Bachtrompete zelebriert wurden. Einem funky-bluesigen Duett auf E-Piano und Alphorn folgte eine lange Improvisation auf dem Klavier und dem Flügelhorn, die wunderschön klassische Jazzlinien evozierte. Christian Wegscheider ist unter anderem der Pianist des Pepe Lienhard Orchesters, das bis zu dessen Tod Udo Jürgens Begleitband war, was ihn nicht unbedingt kreativ, aber professionell zu einem mit allen Wassern gewaschenen Partner von Matthias Schriefl auf dieser Bühne machte.
Beim nächsten Stück und einigen weiteren wurde alpenländische Volksmusik in ihre Bestandteile zerlegt und virtuos und in schnellen Cuts in eine neue Form gegossen. Polka, Marsch und Walzer, wieso nicht alles zu einem Stück kombinieren und so mit neuem Leben erfüllen? Das ist eine von Matthias Schriefls Spezialitäten, und dazu kann auch Christian Wegscheider ein Lied singen. Er kommt aus dem Tal in Österreich, aus dem auch die Zillertaler Schürzenjäger kommen, die das Hohelied des Kommerzes mit dieser Art von Musik aufführen, und das wird dann musikalisch und in den Zwischentexten ironisiert und persifliert. Das tirolerisch-kehlige „k“ oder die inflationäre Verwendung des „Alles gut“ bilden die Grundlage für weitere Stücke, die entgegen der leichten Verpackung von musikalischer Intelligenz und Kreativität nur so sprühen. Einfallsreiche und stimmige Arrangements, witzig und spontan verpackt, seriöse und tiefschürfende Musik mit einer locker-flockigen Hülle versehen. Matthias Schriefl kultiviert und perfektioniert bereits seit Jahren einen Vortragsstil, der wie eine Mischung aus allgäuerischer Bauernschläue und im Augenblick improvisiertem Nonsense à la Helge Schneider erscheint. Noch stärker als bei diesem ist aber bei ihm Performance und Musik miteinander verwoben und kunstvoll verzahnt. Seine grellen Kostüme oder die zu Notenblatthaltern umfunktionierten Meterstäbe sollen seinem Publikum signalisieren, aufgepasst und Ohren aufgesperrt, jetzt kommt etwas Unerhörtes, ich zeige Euch, was es hinter dem ewigen Trott, den ausgeleierten Schubladen und dem alltäglichen Wahnsinn immer noch gibt, auch wenn Ihr es vielleicht schon lange vergessen habt. Natürlich könnte solches Vorhaben auch den sinnentleerten Klamauk auf hohem Niveau bedeuten, tut es aber nicht, denn hinter der ganzen Verpackung schimmert immer der ehrliche und aufrichtige Musiker Matthias Schriefl hindurch, dem es ernst ist mit seiner Musik und dem eine unbändige Neugierde und Lust, sich durch seine Musik mitzuteilen, innewohnt. Heraus kommt Musik, die gleichermaßen Herz und Verstand bedient. Musik, die die Seele erwärmt.
Und es geht weiter mit einem Kulturaltweibersommer und der Blues Brothers Band am nächsten Samstag. Kartenreservierungen unter info@klecks.de.
Jürgen Kus