Mehr PV für den Kemptener ÖPNV

Kempten – Zwei Busse gleiten in ein unterirdisches Terminal, wo sie an Steckdosen geladen werden. Die Energie stammt vom Solarpark nebenan und reicht annähernd für den Fuhrpark von rund 50 Fahrzeugen. Große Speicher und Blockheizkraftwerke sorgen dafür, dass es auch im Winter den nötigen Strom gibt. Eine smarte Energielogistik koordiniert die Busse nach deren Ladeständen. Ein Zukunftstraum?
Bisher schon, doch die beiden Kemptener Busunternehmer Helmut Berchtold und Martin Haslach arbeiten daran, dass die Vision Wirklichkeit wird. Bei den Hochschuldozenten Prof. Dr. Martin Steyer und Norbert Grotz haben die beiden bereits eine Studie zu den Voraussetzungen und zur Umsetzbarkeit in Auftrag gegeben. Auch ein Grundstück wurde schon ins Auge gefasst. Grotz und Steyer haben ihre Ergebnisse jüngst vorgestellt. Ist ein energieautarker regenerativer ÖPNV in Kempten unter den gegebenen Voraussetzungen also möglich?
Ja, sagen die beiden Forscher. Die Simulationen, in die sie die Wetterdaten der Jahre 2018 bis 2021, die Hangneigung sowie die täglichen Busfahrten eingespeist hatten, zeigten, dass die geplante Kemptener Flotte zu 90 Prozent energieautark betrieben werden kann. Einige Dinge müssten dafür allerdings beachtet werden.
Die Voraussetzungen – auch der Anbau von Nahrung spielt eine Rolle
Ausgegangen sind Grotz und Steyer von den Vorgaben der Busunternehmer, die die aktuelle Flottenstärke von etwa 37 Bussen erhöhten, sodass die Zahl von 50 Bussen festgelegt wurde. Die angenommenen Linien entsprechen den aktuellen zuzüglich der geplanten Gewerbebuslinie. Die Fahrzeuge sollten 100 Prozent CO2-neutral fahren und zu 90 Prozent energieautark. Die restlichen zehn Prozent der Energie sollen aus der Region kommen.
Eine Frage war auch, ob die für den Solarpark vorgesehene Fläche genug Energie liefern kann. Berchtold und Haslach haben ein Grundstück am Bachtelweiher im Kopf, das auf Tauglichkeit überprüft werden sollte. Neben dem CO2-Ausstoß müsse man im Gesamtkonzept auch den Flächenverbrauch so gering wie möglich halten, sagte Grotz, da die Produktion von Energie immer Fläche benötige. Und hier stehe sie in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. „Deshalb müssen wir auch die Nahrungsmittelproduktion in dieses Gesamtbild mit einbauen“, so Grotz, „das ist ein ganz wichtiger Punkt.“ Derzeit benötigten wir in Deutschland mehr Fläche pro Person, als überhaupt zur Verfügung steht. Statt wie aktuell 4.700 Quadratmeter pro Person und Jahr sollten es nur 4.300 sein, führte er aus.
Die politische Seite – „Wind & Photovoltaik müssen wir massiv ausbauen!“
Politisch liegen die Pläne von Berchtold und Haslach voll im Trend. Der Klimawandel bedingt, dass alle künftigen Technologien so effizient und nachhaltig wie möglich sein sollten. Das in Paris beschlossene Klimaabkommen, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, sei mittlerweile von annähernd allen Staaten der Erde unterschrieben worden. Das Bundes-Klimaschutzgesetz von 2021 sieht einen CO2-Minderungspfad für definierte Sektoren vor, um die Pariser Ziele zu erreichen.
Der Verkehrssektor etwa solle in den nächsten Jahren um die Hälfe weniger Kohlendioxid ausstoßen als aktuell. „Das Gesetz ist ein ganz schöner Hammer“, sagte Steyer. Es lege eine Treibhausgassenkung bis 2030 von 65 Prozent fest. Verfehle ein Sektor seine Vorgaben, müsse das zuständige Bundesministerium CO2-Zertifikate in Höhe der klaffenden Lücke erwerben. „Das würde dann dazu führen, dass alles, was CO2-Emissionen bedeutet, noch einmal wesentlich teurer wird.
Das bedeutet in den meisten Fällen alles elektrifizieren, was elektrifizierbar ist“, sagte Steyer. Um den Strombedarf zu decken, müsse Wind um den Faktor 4 bis 8 ausgebaut werden, Photovoltaik um den Faktor 7 bis 20. Ab 2025 sollen laut der „Clean Vehicles Directive“ 45 Prozent aller Autos und auch Busse CO2-frei oder CO2-arm unterwegs sein. „Wir haben also eh nicht so viel Zeit, diese Transformation umzusetzen.“ Empfohlen werde von politischer Seite ganz klar eine Elektrifizierung, weil sie im Vergleich zu grünem Wasserstoff weniger Energie brauche.
Die technische Seite – Welcher Antrieb ist am effizientesten?
Damit sich ein Bus einen Kilometer fortbewegen kann, braucht er etwa 0,9 Kilowattstunden, führte Norbert Grotz aus. Das Antriebssystem bedingt, wie viel Energie man dem Bus letztendlich zuführen muss. Am schlechtesten schneidet der Dieselmotor mit einem Wirkungsgrad von nur 25 Prozent ab. Inklusive Herstellung und Transport des Diesels seien dann sogar fünf Kilowattstunden für diesen einen Bus-Kilometer nötig.
Besser sieht es beim Wasserstoff aus, der mit Elektromotor (Wirkungsgrad 92 Prozent), Brennstoffzelle (Wirkungsgrad 55 Prozent) und H-Produktion (Wirkungsgrad 58 Prozent) auf 3,1 benötigte Kilowattstunden für den Buskilometer komme. Mit einem Wirkungsgrad von 82 Prozent gehe der Elektromotor als Sieger hervor. „Damit liegen wir bei einem Bedarf von 1,2 Kilowattstunden, wenn wir 0,9 brauchen“, so Grotz. E-Fuels kommen im Vergleich schlecht weg, für sie brauche man 5,8 mal mehr PV-Fläche im Vergleich zur Elektromobilität. Grotz stellte noch mehr Flächenvergleiche an.
Während E-Busse fünf Fußballfelder für die benötigte Energie bräuchten, seien es bei Wasserstoffbussen 12 Fußballfelder. E-Fuels kommen mit 28 Fußballfeldern an dritter Stelle. Noch schlechter sehe es bei Biogas mit 363 und bei Bio-Diesel mit 1.227 Fußballfeldern aus. „Weil Pflanzen die Sonnenenergie erst in Stärke umwandeln, bevor wir sie in Strom ummünzen, sind sie weniger effektiv, als wenn die Sonnenenergie direkt genutzt wird“, erklärte Grotz.
Die Ausstattung – Diese Infrastruktur braucht’s
Weil die beiden Busunternehmer bereits zwei Betriebshöfe führen, sollen diese zunächst mit Photovoltaik eingekleidet werden. „Hier braucht es auch einen Speicher, um die Busse nachts zu laden.“ Dazu komme eine Ladeinfrastruktur sowie Blockheizkraftwerke für das Sonnenloch im Winter. Das reiche allerdings noch nicht aus. Um die benötigte Energie bereitzustellen, sei ein Energiepark größer als drei Hektar nötig und ein smartes Energiemanagement, „damit die Fahrzeuge nicht unnütz durch die Gegend fahren“, so Steyer. An die Fläche stellte der Wissenschaftler noch weitere Anforderungen. Sie sollte am besten im Stadtgebiet liegen, um die Leitungsverluste gering zu halten.
Darüber hinaus sei diese Nähe effizient, weil immer Gleichstrom benutzt werden könne. Weil für kurze Stromtransportwege weniger gesetzliche Vorgaben gelten als für lange, erleichtere es das Prozedere und es sei preisstabiler. Am vorteilhaftesten sei es, wenn die Fläche für den Solarpark an einer Buslinie liege, damit die Busse mit leerer Batterie als Fahrzeuge dieser Linie zum Laden fahren können. Somit würden unnötige Fahrten vermieden. Am Solarpark brauchen die Busse erneut Ladevorrichtungen und Speicher. Weil im Sommer überschüssige Sonnenenergie vorhanden sei, könne man überlegen, diese in E-Fuels umzuwandeln und in der sonnenarmen Zeit im Winter zu nutzen. Dies sei in den Simulationen aber nicht berücksichtigt.

„Kein neuer Betriebshof, sondern nur ein Ladepark“
Und das benötigte Solar-ParkAreal sei bereits gefunden: Am Bachtelweiher zwischen MiniGolf-Platz und Klingener Weg sollen die unterirdischen 15 Ladestationen entstehen und der Solarpark würde sich etwas weiter süd-östlich, unterhalb des Klingener Weges und östlich der Straße Letten befinden. „Linie 11 und 12 fahren dort in der Nähe vorbei – wäre also ideal“, urteilte Steyer. Direkt südlich des Bachtelweihers sehen die Wissenschaftler weiterhin eine Freizeitwiese zur Naherholung vor. Wie sich herausgestellt habe, sei es effizient, die Solarmodule nach Osten und Westen auszurichten, um Verschattungen zu vermeiden.
Dachförmige Solarmodule könne man sehr nah zusammenstellen, allerdings werde dadurch der Boden „quasi“ versiegelt. Die Favoriten von Grotz und Steyer sind Solarmodule auch in Ost-West-Richtung orientiert, allerdings beweglich. „Morgens richten sie sich nach Osten aus und abends wenn die Sonne untergeht, nach Westen.“ Das liefere den dreifachen Ertrag wie fixe Module, aber weniger als dachförmige. Ein weiterer Vorteil: Bei Schnee stehen die Elemente senkrecht und die Schneeflocken rutschen ab.
Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könne man unter Umständen, wenn unter den Photovoltaik-Flächen Pflanzen als sog. Agri-PV angebaut würden. Wenn im Sommer zu viel Energie vorhanden sei, könne man die Module wieder senkrecht stellen, um die komplette Sonnenenergie den Pflanzen zur Verfügung zu stellen, erklärte Grotz. Ohne landwirtschaftliche Nutzung entstünden ganz von alleine artenreiche Biotope unter solchen Parks. Wie müssen die Speicher aussehen? Um die problematischen Stoffe Cobalt und Lithium zu vermeiden, sprechen sich Grotz und Steyer für Natrium-Schwefel-Batterien aus. Deren Speicherzeit betrage zwar kein halbes Jahr, doch zum Laden zwei Tage nach Stromgewinnung seien sie unproblematisch.
Die Simulation
Um möglichst genaue Aussagen zu treffen, ob die gebrauchte Energie mit der vorhandenen zusammengebracht werden kann, haben Grotz und Steyer alle Parameter wie Fahrten, Energieverbrauch, im Sommer mit Klimaanlage im Winter mit Heizung, die Flächenform des PV-Parks, die Verschattung und die Wetterdaten von vier Jahren in die Simulation eingespeist. 36.000 Datenpunkte haben sie verwendet. Jede Stunde des Jahres wurde simuliert.
In der ersten Januarwoche 2021 hätte 70 Prozent der benötigten Energie mit PV gedeckt werden können, 30 Prozent wären aus den Blockheizkraftwerken gekommen. Bereits im ersten Jahresquartal 2021 hätte man es geschafft, 87 Prozent der benötigten Energie per PV zu produzieren. „Am Ende des Jahres 2021 liegen wir jetzt bei 91,6 Prozent Nutzung unserer PV-Energie.“ Somit sei das vorgegebene Ziel erreicht. Im ganzen Jahr seien es 189 zusätzliche Fahrten außerhalb Linie 11 und 12 gewesen, die berechnet wurden. Mit größeren eingesetzten Batterien könne man diese Fahrten auf zehn im Jahr reduzieren.
Die ökonomische Seite – Die Sonne schickt keine Rechnung
Schon jetzt, mit den weltpolitischen Verwerfungen sei es so, dass eine E-Busflotte günstiger betrieben werden könne als eine Dieselflotte. Dieser Effekt werde sich mit dem Abbau des Dieselprivilegs noch verstärken, sagte Grotz. Er empfahl, um unabhängig und preisstabil zu sein, den Strom selbst zu produzieren, auch wenn dies zuerst große Investitionen bedeute. 45 Millionen Euro sind die Investitionskosten für die beiden Busunternehmer. Die Firma Steinbacher Consult, welche die Umstellungen von Verkehrsbetrieben begleitet, habe diese Zahlen zur Verfügung gestellt. Förderanträge seien bereits am Laufen. Busunternehmer Helmut Berchtold betont beim Vortrag: „Das Projekt hier bedeutet, dass wir einen wirklich kostengünstigen ÖPNV hinbekommen.“ Das komme daher, dass die Busunternehmer einen Vertrag mit der Kemptener Verkehrsbetriebe- und Beteiligungs GmbH (KVB) haben über eine Linienleistung. „Wenn die Energie günstiger wird, dann hat zu 100 Prozent, die Kemptener KVB, sprich die Familie der Stadt Kempten den finanziellen Vorteil.“ Wodurch der Fahrpreis günstig bleiben könne.
Die soziale Seite: zehn zusätzliche Fahrten im Jahr
Martin Steyer würde sich, wie er sagte, als Anwohner über die Umstellung auf E-Mobilität freuen, da der Motorenlärm und Emissionen wegfallen. Ein Zuhörer zweifelte allerdings daran, dass die Busse durch die enge Bachtelmühlsiedlung fahren können. Wie Berchtold erwiderte, finde derzeit ein Halbstundentakt der Linie 12 statt und an der Breslauer Straße ebenfalls ein Halbstundentakt. Allerhöchstens 0,5 Fahrten pro Tag entstünden mit dem neuen System am Bachtelmühlweg zusätzlich. Als Gegensatz: An der Ludwigstraße seien es derzeit 70 Fahrbewegungen pro Tag. „Da draußen am Bachtelmühlweg finden praktisch keine zusätzlichen Fahrbewegungen statt.“
Für die Fahrgäste in Kempten entstünden für die optimale Lade-Logistik allerdings zusätzlich Umstiege. Bereits jetzt gebe es aber keine linienreinen Fahrzeug-Umläufe. Die „Wir tauschen bereits heute den ganzen Tag die Busse durch“, so Haslach. Mit einem Live-Monitoring sei es möglich, die bald leeren Busse an der ZUM zu Linie 11 oder 12 werden zu lassen, damit sie zum Laden kommen. Jongliert werden müsse hier auch mit dem Gewicht der Busse. Je größer die Batterie, desto schwerer der Bus und desto weniger Fahrgäste dürfen mitfahren. Bei kleinerer Batterie können mehr Menschen auf einmal transportiert werden, dann wiederum muss öfter geladen werden. „Der Fahrzeugmarkt entwickelt sich aber sehr dynamisch momentan“, sagte Haslach.
„Alle müssen einen Beitrag leisten“
Außerdem interessierte den Anwohner, wie die unterirdische Ladestation aussehen würde, damit der Bachtelweiher als Naherholungsgebiet erhalten bleibe. „Ich brauche keine Photovoltaik-Anlage, ich schaue lieber den Bachtelweiher an.“ Wie Helmut Berchtold ausführte, führen die Busse am Klingener Weg unterirdisch in die Ladestation ein und noch vor der Kuppe wieder heraus. Und ein anderer Zuhörer warf diesbezüglich ein, dass es sein könnte, dass der Bachtelweiher in den nächsten Jahren austrockne, wenn nicht alle an einem Strang ziehen gegen den Klimawandel. „Jeder muss seinen Beitrag leisten.“ Daher ermutigte er die Busunternehmer, das Projekt zu verfolgen. Neben – teils kritischen – technischen Fragen fand das Projekt in der Zuhörerschaft ansonsten wohl Zustimmung.
Die persönliche Empfehlung
Die beiden Forscher mutmaßen, dass mit der erwarteten Rezession Förderprogramme für E-Mobilität abgebaut und ersetzt werden durch ein Verbot, Verbrenner zu kaufen. Im Moment seien die Förderbedingungen noch sehr gut. „Zudem kriegen wir wahrscheinlich eine Verteuerung der Energiepreise“, so Steyer. Das würden die Spotmärkte bereits so anzeigen. Ohne es als wissenschaftliche Aussage deklarieren zu wollen, empfahlen Grotz und Steyer daher, bereits jetzt für das Projekt tätig zu werden. Für die Teilumsetzung visieren die die Busunternehmer die Jahre 2023 und 2024 an. Etwa um das Jahr 2027/2028 rechnen sie mit einer kompletten Realisierung.
Reaktionen der Lokalpolitik
Derzeit läuft ein Antrag der Stadtratsparteien Freie Wähler-ÜP, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Darin loben die Antragsteller die Vorzüge des Projekts und sichern ihm Unterstützung „ohne Wenn und Aber“ zu. Allerdings beantragen die drei Parteien, dass die Verwaltung alternative Standorte für die Umsetzung prüfen solle.