Wie Stephan Schmidt, Vorsitzender des neugegründeten Vereins „Kulturquartier Allgäu e.V.“, anmerkte, gebe es viele Menschen in Kempten, „denen fällt die Klappe runter“, wenn sie vom Kemptener KZ-Außenlager erfahren. „Und hier auch?!“, lautete dann die Frage. Dabei war die Zahl der KZ-Außenlager ungleich höher als die der Stammlager: 23 Konzentrationslagern stehen etwa 1.150 Außenlager gegenüber. An vielen von ihnen gebe es keine Erinnerungszeichen. Dennoch habe „fast jede Gemeinde eine Überschneidung mit dem Thema Außenlager“, so März.
Ihre Bedeutung im System der Nationalsozialisten hatten die Außenlager vor allem in den letzten Kriegsjahren ab 1943. In dieser Phase wurde die Häftlingszwangsarbeit immer wichtiger, vor allem für die Rüstungsindustrie, und die Zahlen der Inhaftierten seien explodiert. Die deutsche Zivilbevölkerung kämpfte zu großen Teilen in der Wehrmacht.
Ab Sommer 1944 sollte zusätzlich die Rüstungsindustrie untertage verlegt werden, wie zum Beispiel an einem Produktionsstandort in Mühldorf. An solchen Baustellen „mit den gefährlichsten Arbeiten“ setzte man vor allem jüdische Häftlinge ein. Die Sterblichkeit habe in dieser Zeit stark zugenommen, so März. Dem Konzentrationslager Dachau gehörten 1944 bereits 87 Außenlager an. In diesem Jahr kamen noch 62 neue hinzu.
Wie Grünen-Stadtrat Lajos Fischer erfragte, seien zwar mehr KZ-Häftlinge im Stammlager Dachau gestorben, etwa drei Viertel aller Verstorbenen. Rund 10.000 bis 12.000 Tote habe es in den Außenlagern gegeben. Doch liege das am „Drehscheibencharakter“ der Stammlager, erklärte März. Während die arbeitsunfähigen und kranken Häftlinge zuerst nach Auschwitz transportiert wurden, seien sie später nach Dachau zum Sterben verlegt worden. Auch bestraft und hingerichtet habe man die Häftlingen in den Stammlagern.
Zu Kriegsende seien die Häftlinge nach Auflösung der Lager auf die „Todesmärsche“ geschickt worden. Zahlreiche sogenannte „KZ-Friedhöfe“ entlang der Routen erinnerten heute daran. Die Sterblichkeit stehe daher in engem Zusammenhang mit den KZ-Außenlagern.
Während an vielen Standorten nichts mehr auf deren Geschichte hindeute, weil sie Privathäuser sind, leer stehen oder überbaut sind, nannte März auch zahlreiche Beispiele, wie man auf die Geschichte des Ortes aufmerksam machen und einen Gedenkort etablieren kann.
Meist gibt es vor Ort Gedenktafeln, auf denen die wichtigsten Informationen vermerkt sind, wie auch in Kempten an der Allgäuhalle. Auch Kunstwerke wiesen oftmals auf die schlimme Geschichte hin. In Haunstetten, wo über 2.000 Häftlinge untergebracht waren, grüne jetzt ein Park mit einem Spielplatz. Auch Kunstwerke und eine Tafel mit den Namen aller Toten sind dort zu finden. Solche Gedenksteine und -plaketten hätten vor allem zeremonielle Bedeutung bei Gedenkveranstaltungen.
In Nürnberg, wo jüdische Frauen für Siemens-Schuckert schuften mussten, erinnern heute zwei Infotafeln an deren Ausbeutung. Sie sind in Farbe, Form und Aufmachung in das städtische Gesamtkonzept Erinnerung integriert. Dieser Wiedererkennungswert bringe Sichtbarkeit und einen großen Mehrwert, erklärte März. Wenig Aufmerksamkeit brächten dagegen Gedenksteine und -tafeln auf Friedhöfen. In Fischen erinnert ein künstlerisch gestalteter Wanderweg an die Gräuel.
40 historisch relevante Orte gibt es in Kaufering, darunter zahlreiche KZ-Außenlager, KZ-Friedhöfe und drei Bunkerbaustellen. Regelmäßig finden dort Führungen statt. In der sogenannten „Welfenkaserne“ ist eine Ausstellung eingerichtet. Ein Entdeckungsweg bietet Informationen vor Ort und eine Internetseite virtuell.
Und in Mühldorf, wo sich fünf Außenlager, die Bunkerbaustelle und ein Massengrab mit Basisinformationen finden, ist zusätzlich eine Aussichtsplattform geplant, die die Dimensionen des 400 Meter langen Bunkers sichtbar machen soll.
Manchmal müsse man Kompromisse eingehen zwischen dem historischen Originalstandort und einem Ort, an dem sich genügend Menschen aufhalten, um auf die Geschichte aufmerksam zu machen. Doch in Kempten seien sowohl mit dem Ort des Arbeitseinsatzes in den Sheddachhallen als auch jener der Häftlingsunterbringung in der Allgäuhalle noch Gebäude vorhanden. Wie März es nannte, „ein Gewinn“, da sich der Betrachter nichts im luftleeren Raum vorstellen müsse.
Bei der räumlichen Nähe der Gebäude biete es sich auch an, Geschichtswege anzulegen mit entsprechender Farbgebung und Stadtführungen. „Der Arbeitseinsatz in der Infanteriekaserne ist schwerer miteinzubeziehen“, erklärte der Historiker.
Museumsleiterin Dr. Christine Müller Horn stellte eine Stadtführung zum Thema NS-Zeit in Kempten in Aussicht. Auch sie sieht „idealerweise“ Infotafeln an deren einzelnen Stationen, die miteinbezogen werden. Ihrer Meinung nach sind Information und Gedenken „enorm wichtig“ in Zeiten der Holocaust-Verharmlosung.
Historiker Jascha März würde auch das benachbarte Lager der rund 700 Zwangsarbeiter in das Erinnerungskonzept integrieren. Auch wenn die Zwangsarbeiter in der öffentlichen Wahrnehmung noch weniger präsent seien, solle man nicht die Opfergruppen „gegeneinander aufwiegen“. Auch Experte Markus Naumann – Autor, Lehrer und Historiker sowie Vorsitzender des Heimatvereins – plädierte dafür, ebenso auf das Ostarbeiterlager aufmerksam zu machen. Er ist der Meinung, dass es die Vermittlung erleichtern könnte, wenn man die Unterschiede klarmacht.
Wichtig ist laut März die sogenannte „Stolpersteinfunktion“. Es gebe viele Menschen, die sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen. Diese müsse man an belebten Orten erreichen und auf vertiefte Informationsmöglichkeiten hinweisen, wie sie etwa im Kempten-Museum bereits bestehen. Auch virtuelle Angebote werden hier immer wichtiger.
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