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Die Unfassbarkeit des Seins

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Museumsleiterin Sonia Fischer und Kunsthistoriker Christian Burchard vor einem Gemälde der aktuellen Ausstellung „Barocke Überläufer“. © Greiner

Landsberg – Nur noch wenige Tage hält die Ausstellung „Barocke Überläufer“ im Stadtmuseum ihre Pforten geöffnet, bevor der bis April dauernde Museums-Winterschlaf beginnt. Zum Abschluss hielt Kunsthistoriker Christian Burchard noch einen kurzweiligen Vortrag zum Thema „Die Suche nach komplexen Formen – Barock versus Moderne“. Trotz Schneetreiben wagten sich gut zwanzig Interessierte über glatte Straßen ins Stadtmuseum.

Der auf Designtheorie spezialisierte Burchard startete mit einer Spurensuche nach den beiden zentralen Themen seines Vortrags. Komplexität gebe es sowohl in der Steuererklärung als auch in der Architektur. Doch eine aufs Wesentliche reduzierte Steuererklärung werde Sonderfällen nicht gerecht, ein aufs Wesentliche reduzierter Bau gefalle nicht jedem. In der modernen Kunst seien beide Prinzipien auffindbar, wobei der von der 1919 gegründeten Architekturschule ‚Bauhaus‘ „erfundene“ Stil wohl als offizielle Einführung der Reduktion gesehen werden könne. Reduziert könne man auch die äußere Ansicht der Wieskirche nennen, doch ihr von Ornamenten überwuchertes Inneres beweise das komplette Gegenteil: „Dem Barock ist Reduktion fremd. Es geht nicht um edle Einfalt und stille Größe, sondern um die Unfassbarkeit des Seins. Wenn das heute jemand nachbauen wollte, das würde die Handwerker zum Wahnsinn treiben.“

Die klassische Moderne sei nicht als Gegenbewegung zu sehen, sondern als radikale Zensur. Ob diese Reduktion noch zu steigern sei? Burchard zitiert den 1954 geborenen Künstler Albert Oehlen, der vormals mit seinen wie hingeschmiert aussehenden Bildern als „junger Wilder“ den Kunstbetrieb aufmischte und heute als etablierter Künstler wirkt: „Am liebsten würde ich weiße Leinwände abgeben. Aber das macht keinen Sinn, weil man nicht weiß, was man weglässt.“

Dass die Reduktion ein Prinzip der Wahrnehmung ist, zeigte sich an den Kinderzeichnungen, die Burchard beschrieb. Jedes Kind durchlaufe die gleichen Phasen, beginnend mit den „Kopffüßern“, die nur aus Gesicht samt schlauchartigem Körper bestehen: „Am Anfang ist das Gesicht eben das Wichtigste.“ Danach gelangten Kinder schon zu den ersten Stufen der Komplexität in Form verschiedener Perspektiven: „Der Kopf eines Indianers wird im Profil gemalt, damit man die Federn sieht, aber der Körper frontal, um die zwei Arme zeigen zu können.“ Oder Häuser, die sich perspektivisch überlappen. Vielleicht kann man das auch so formulieren: Die Abbildung der Realität ist komplex. Und je mehr die Kunst zu Beginn der Renaissance lernte, Perspektiven bildnerisch umzusetzen, umso massiver hielt die Komplexität in Form von wirklichkeitsgetreuer Darstellung Einzug in die Kunst. Sie wurde erwachsen. Da hört das Bild aber schon auf. Denn das Bauhaus als kindlichen Rückfall in die Einfachheit zu bewerten, klappt natürlich nicht.

Mit Burchards Vortrag sieht man die Bilder der aktuellen Ausstellung im Stadtmuseum mit anderen Augen. Doch auch ohne Vortrag sollten Interessierte die letzte Chance für die aktuelle Ausstellung im Stadtmuseum nutzen – denn sie läuft nur noch bis zum 29. Januar. Danach ist Winterpause bis April. „In dieser Zeit sind die Räume einfach zu kalt“, begründet Museumsleiterin Sonia Fischer die Ruhephase. Die hat auch sie selbst jetzt nötig: 2016 hat mit 7.600 Besuchern wieder einen Rekord eingeheimst. Zusammen mit den gut 3.500 verkauften Tickets für das Herkomermuseum macht das stolze 11.000 Besucher. Natürlich ist 2017 schon durchgeplant: Bereits im April geht es mit dem Thema Jesuitenmission in China los. Anfang Juni startet die Ausstellung „Servus Transall“, eine Reminiszenz an die Schließung des Fliegerhorsts. Und ab Mitte Oktober präsentiert das Museum seine Schätze. „Das wird dann schon mal eine Vorschau auf die Dauerausstellung“, sagt Fischer.

Wie es mit dem Stadtmuseum generell weitergeht, wird voraussichtlich in der Stadtratssitzung am 15. Februar diskutiert. Dann geht es um das Ergebnis der Machbarkeitsstudie, „das auf die Standortfestlegung in der Von-Helfenstein-Gasse abzielt“. Es bleibt in alle Richtungen spannend.

Susanne Greiner

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