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Die NS-Zeit vor der eigenen Haustür

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Von: Ulrike Osman

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Moderierte Einführung: Christopher Vila (Mitte) eröffnete die Ausstellung, die sich mit der NS-Zeit in Egling beschäftigt und noch bis 30. April im Heimatmuseum zu sehen ist.
Moderierte Einführung: Christopher Vila (Mitte) eröffnete die Ausstellung, die sich mit der NS-Zeit in Egling beschäftigt und noch bis 30. April im Heimatmuseum zu sehen ist. © Osman

Egling - “Wir und der Nationalsozialismus. Ein Dorf erzählt und beleuchtet seine Geschichte neu“ – so lautet der Titel einer Ausstellung, die seit dem Wochenende im Heimatmuseum in Egling zu sehen ist. Zugrunde liegt eine unmittelbare Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, wie sie sich vor der eigenen Haustür zugetragen hat. Es geht um den Alltag in jener Zeit, um Opfer und Täter aus der Mitte des Dorfes, um Zwangsarbeit, den Todesmarsch von KZ-Häftlingen, die letzten Kriegstage im April 1945 und die Erinnerungskultur an Kriegsteilnehmer.

Die Ausstellung ist Teil des bundesweiten Projekts „Das Dritte Reich und wir“, einer Kooperation der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Deutschen Feuerwehrverbands. An der Uni Gießen machte man sich Gedanken darüber, wie einem in der Öffentlichkeit verstärkt zu beobachtenden Überdruss mit dem Thema NS-Aufarbeitung entgegengewirkt werden kann - und kam auf eine andere Herangehensweise.

Es sollte nicht mehr nur Großes, Übergeordnetes untersucht werden wie die Vergangenheit von Behörden, Unternehmen oder prominenten Familien, sondern die NS-Zeit auf Ortsebene – dort, wo sie oft übersehen oder sogar bewusst ausgeblendet wird. Hier sollten unter Mitwirkung der Bevölkerung konkrete Projekte auf die Beine gestellt werden, statt lediglich zu debattieren. Bundesweit bewarben sich zehn Gemeinden um die Teilnahme, darunter Egling.

„Man gewinnt Leute, indem man sie um Hilfe bittet“, so Projektleiter Clemens Tangerding. Und so verlief bereits der erste Schritt hin zur Ausstellung – die Sammlung von Quellen – höchst erfolgreich. Mehrere Tausend Zeitdokumente stellten Eglinger Bürger zur Verfügung, berichtete Christopher Vila, Einzelprojektleiter des Heimatmuseums Egling, bei der Eröffnung der Ausstellung. Oft handelte es sich um Quellen von Wehrmachtssoldaten und die Spuren des Krieges in der eigenen Familie.

Eineinhalb Jahre Vorbereitung stecken in der Ausstellung – angefüllt mit vier Workshops, unzähligen Arbeitstreffen, Telefonkonferenzen und Archivbesuchen „von München bis Washington“, wie Vila berichtete. Die größte Überraschung sei gewesen, dass man auf einen echten Täter gestoßen sei: Georg Klein, den 1895 geborenen Sohn des damaligen Landarztes.

Der Jurist Klein machte „eine mustergültige NS-Karriere“ (Vila) als Gestapobeamter und SS-Führer. In diesen Funktionen verantwortete er die Verfolgung und Deportation von politischen Gegnern und Personen, die nicht dem völkischen Rasseideal entsprachen. Gegen Ende des Krieges tauchte er unter falschem Namen nach Kiel ab und starb 1966, noch während gegen ihn als NS-Schreibtischtäter ermittelt wurde. Vor Gericht kam er nie.

Viele Geschichten

Kleins Geschichte wird im Rahmen der Ausstellung auf einer von fünf Stelen erzählt. Auf der Seite der Verfolgten geht es unter anderem um den Landwirt Andreas Dreer, der aufgrund kritischer Äußerungen über das Regime nach Landsberg ins Gefängnis kam. Oder um den Pfarrer Leonhard Neureiter, der ebenfalls an staatlichen Maßnahmen Kritik übte und zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Warum Simon Deggendorfer ins KZ Dachau und später nach Flossenbürg verschleppt wurde, ist nicht einmal bekannt. Er starb im Dezember 1944 an Entkräftung.

Nicht alle Geschichten konnten zu Ende erzählt werden, darunter die einer verbotenen Liebesbeziehung zwischen dem polnischen Zwangsarbeiter Josef Osinski und einer deutschen Landarbeiterin, von der nur das Kürzel S. überliefert ist. Beide wurden 1943 wegen „unerlaubten Geschlechtsverkehrs“ festgenommen. Osinski kam ins KZ Dachau, wo er im April 1945 von der US-Armee befreit wurde. Er ging zurück nach Polen. Über das Schicksal der Landarbeiterin und des gemeinsamen Kindes - die Frau war zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung im fünften Monat schwanger - ist nichts bekannt.

Auch einer der berüchtigten Todesmärsche führte durch Egling. Hundert Männer in gestreifter Häftlingskleidung wurden in den letzten Kriegstagen von einer Handvoll Wachmänner durch das Dorf getrieben. Die näherrückenden Alliierten sollten in den KZs keine Überlebenden vorfinden. Der Tod der Häftlinge auf den Gewaltmärschen wurde billigend in Kauf genommen.

Ein britischer Kriegsheld: Fliegerass Adrian Warburton wurde im April 1944 bei Egling abgeschossen. Erst 2002 wurden seine sterblichen Überreste und Teile des Flugzeugwracks geborgen.
Ein britischer Kriegsheld: Fliegerass Adrian Warburton wurde im April 1944 bei Egling abgeschossen. Erst 2002 wurden seine sterblichen Überreste und Teile des Flugzeugwracks geborgen. © Osman

Wrackteile eines Flugzeugs und wenige Fotos erinnern an den britischen Piloten Adrian Warburton, der im April 1944 zwischen Egling und Dünzelbach abgeschossen wurde. 58 Jahre lagen seine sterblichen Überreste unter der Erde - bis sie im Jahr 2002 geborgen und auf einem Soldatenfriedhof in Gmund am Tegernsee beigesetzt wurden.

Briefe von der Front

Die Gemeinde Egling mit ihrem Ortsteil Heinrichshofen und dem Weiler Hattenhofen hatte 80 Gefallene zu beklagen. Der Erinnerung an die Kriegsteilnehmer ist im Rahmen der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet. Hier sind Audiopräsentationen von alten Feldpostbriefen zu hören, die zum Teil aus der deutschen in die lateinische Schrift übersetzt werden mussten. Die Briefe geben einen Einblick in den Kriegsalltag an der Front, müssen jedoch als Quelle kritisch hinterfragt werden. Denn durch die Zensur und den Druck, positiv zu berichten, wurde die Wahrheit oft verzerrt.

Clemens Tangerding hofft, dass die Ausstellung zu einer neuen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit führt. „Es wäre schön, wenn unsere Arbeit ein Gespräch über diese Jahre in Gang setzen würde: Über das Wenige, was weitergetragen wurde und über das Viele, was verschwiegen wurde.“

Die Ausstellung ist bis zum 30. April sonntags zwischen 14 bis 17 Uhr im Heimatmuseum (Schulstraße 13) zu sehen.

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