Nun rücken zweiköpfige Teams unabhängig von Tageszeit und Wochentag aus, wenn beispielsweise Suizidgefahr besteht, eine schwere Psychose, akute Angstzustände oder Panikattacken auftreten, Familien- oder Paarkonflikte ausarten.
Die Krisenteams kommen diskret, ohne Blaulicht und ohne Aufsehen zu erregen. Meist sind sie binnen einer Stunde vor Ort und bringen unbegrenzt Zeit mit. Ihr Ziel ist es, die Situation zu deeskalieren und mit den Betroffenen gemeinsam zu klären, welche Hilfen sie brauchen. Vermittelt werden persönliche Beratungstermine und Behandlungsangebote. Stationäre Aufnahmen könnten so in 50 Prozent der Fälle vermieden werden, berichtete Richard Hörtlackner, bei der Gesellschaft zur Förderung des Krisendienstes Psychiatrie Oberbayern (GKP) verantwortlich für die Krisenhilfe an Abenden, Wochenenden und Feiertagen, kurz AWF-Dienste. Noch stärker soll die Zahl der Zwangseinweisungen gedrückt werden. „Sie müssen die Ausnahme von der Ausnahme werden“, sagte Bezirkstagspräsident Mederer.
Die Möglichkeit nächtlicher Einsätze ist auch für diejenigen eine Erleichterung, die tagsüber im Dienst sind. Das berichtete Eva Liebenstein-Seiffert vom Sozialpsychiatrischen Dienst Landsberg. Man könne nun die Klienten darauf hinweisen, dass sie auch nachts Hilfe herbeirufen könnten. Das geschieht in 60 Prozent der Fälle durch die Betroffenen selbst, aber auch durch Angehörige oder Dritte.
Michael Landgrebe, Chefarzt des kbo-Lech-Mangfall-Klinikums, hält das erweiterte Angebot auch vor dem Hintergrund der Zunahme seelischer Störungen für „eine hervorragende Ergänzung der therapeutischen Angebote“. Die Kliniken alleine könnten die steigenden Fallzahlen nicht bewältigen. Zuletzt nahm der Krisendienst bis zu 200 Anrufe am Tag entgegen. Corona hat die Situation verschärft, soziale Isolation und Vereinsamung haben zugenommen, berichtete die Ärztliche Leiterin der Leitstelle Petra Brandmeier. Während der Lockdown-Monate seien viele Menschen tief in eine seelische Krise hineingerutscht.
Gebietskoordinatorin Marlies Podechtl ist für den Aufbau des Krisendienst-Netzwerks in Südwest-Oberbayern verantwortlich. Zu den von ihr koordinierten Ausrück-Teams gehören nicht weniger als 800 Menschen. Der Bezirk Oberbayern finanziert die Hilfsangebote des Krisendienstes vor Ort mit rund 14,3 Millionen Euro im Jahr. 3,3 Millionen Euro für den Betrieb der Leitstelle steuert der Freistaat bei.
Bisher vergeblich sind die Bemühungen der politisch Verantwortlichen, auch die Krankenkassen mit ins Boot zu holen. „Das wäre fair“, so Mederer. Denn Gewinner des erweiterten Krisendienstes seien zwar die Menschen – „doch finanzieller Gewinner sind die Krankenkassen“.
Die Soforthilfe bei psychischen Krisen ist von Montag bis Sonntag rund um die Uhr erreichbar unter der Nummer 0800/655 3000.