Deutsch als Schlüssel

Utting – Wenn Anna Maria Witty das derzeit als Asylbewerber-Unterkunft umgewandelte Jugendübernach- tungshaus am nördlichen Ortsrand von Utting betritt, springen ihr fröhliche Kinder aus Nigeria, Eritrea und Afghanistan um den Hals und begrüßen sie mit einem bunten Sprachmix, wo sich aber schon deutsche Wörter deutlich heraushören lassen. Das hat seinen Grund und der heißt Witty. Sie lehrt im Rahmen der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe Asylsuchenden Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aus Utting und Holzhausen die Basics der deutschen Sprache.
Angefangen hat das Engagement der 29-jährigen Lehrerin für Englisch, Geschichte und Sozialkunde an der Fachoberschule Landsberg im Novem-ber 2014, als sie in den Medien verfolgen musste, wie hilf- und orientierungslos hier neu angekommene Asylbewerber sind, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. „Deutsch ist der Schlüssel zur Integration“ sagte Witty und wandte sich an die örtliche Kurskoordinatorin Bettina Kretzschmar, die sie sofort als Deutschlehrerin einsetzte.
Seitdem unterrichtet Anna Maria Witty neben weiteren ehrenamtlichen Deutschlehrern – von der Hausfrau bis zum Akademiker – dreimal wöchentlich „ihre“ Familien im Jugendübernachtungshaus mit Blick auf den Ammersee. Die Zeit bis zur Entscheidung über den Asylantrag wird so sinnvoll genutzt. Da es einen Anspruch auf Integrationskurse nur für anerkannte Flüchtlinge gibt, ist dieses selbstlose Engagement für diese Menschen geradezu lebensnotwendig. Ob einzeln oder in kleinen Gruppen werden die wichtigsten Wörter, Begriffe und Redewendungen der deutschen Sprache gepaukt, was mitunter schwierig ist, da auch Analphabeten unter den Schülern sind und Menschen, die das lateinische Schriftsystem nicht beherrschen.
Ziel des Deutschunterrichts ist es, die Asylbewerber in dieser speziellen Lebenssituation zu unterstützen und ihnen mit einfachen Deutschkenntnissen die Orientierung im Alltag zu erleichtern wie beim Einkaufen, bei der Nutzung von Verkehrsmitteln, bei Behörden- gängen oder bei Arztbesuchen. Weiteres Ziel der Deutschstunden ist für die älteren Flüchtlinge das Bestehen des Auswahltests der Beruflichen Schulen Landsberg. Hier werden Bewerber mit entsprechenden Deutschvorkenntnissen in zwei Jahren auf ein Sprachniveau getrimmt, das ihnen schulische und berufliche Anschlussmöglichkeiten und Perspektiven ermöglicht. Was Anna Maria Witty und ihre Mitstreiter besonders stolz macht: Alle Kandidaten aus ihrer Obhut haben in diesem Sommer das Auswahlverfahren in Landsberg bestanden.
Tiefe Dankbarkeit und Herzlichkeit der Flüchtlinge gegenüber ihren Lehrern und Helfern sind der ganze „Lohn“ für die vielen Stunden, die im Uttinger Jugendübernachtungshaus gepaukt wird. Ohne Helferkreise wie diese würden unsere Kommunen, das Landratsamt, Bezirks- und Staatsregierung vor einem Chaos in der Asylbetreuung stehen. Auch die örtlichen Kirchen und Organisationen wie das Rote Kreuz, die sich in Utting vorbildlich engagieren, stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen und werden durch den großen freiwilligen Helferkreis entlastet. Dazu gehört übrigens auch Renate Witty, die Mutter von Anna Maria Witty, eine Physiotherapeutin aus Utting. Hilfe für Flüchtlinge ist hier eine Familienangelegenheit, die von Herzen kommt.
Dieter Roettig