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Gregor Gysi geht ins Kloster

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Von: Ulrike Osman

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Angeregtes Gespräch: Gregor Gysi (links) und Abtprimas Notker Wolf.
Angeregtes Gespräch: Gregor Gysi (links) und Abtprimas Notker Wolf. © Osman

St. Ottilien – Ein führender Kopf der Linken und ein katholisches Kloster – auf den ersten Blick fällt da mehr Trennendes als Gemeinsames ein. Doch Gregor Gysis Auftritt beim Kulturforum der Erzabtei St. Ottilien war alles andere als eine Konfrontation. Mit seinem Vortrag „Wie weiter – Nachdenken über Gott und eine Welt der Herausforderungen und Krisen“ füllte der Bundestagsabgeordnete, Rechtsanwalt, Autor und Publizist den Festsaal des Gymnasiums St. Ottilien bis auf den letzten Platz und erntete viel Beifall, auch von Seiten des moderierenden Abtprimas Notker Wolf.

„Sie sind ein Zugpferd“, lobte Schulleiter Andreas Walch den Gast aus Berlin in seiner Begrüßung. Angesichts der vielen Anmeldungen war die Veranstaltung kurzfristig vom Exerzitienhaus in den 600 Zuschauer fassenden Festsaal verlegt worden. Für St. Ottilien war der Andrang durchaus erfreulich, stand der Abend doch im Zeichen des geplanten Schulneubaus, für den Spenden gesammelt wurden.

Notker Wolf würdigte den ehemaligen Berliner Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen als „Stimme des Ostens und einen der klügsten Köpfe der Linken“, was dieser später humorvoll als „beachtliche Einschränkung“ kommentierte, denn „so viele Linke gibt‘s ja gar nicht“.

Seinem Ruf als brillanter Redner machte der 75-Jährige an diesem Abend alle Ehre. Russlands Krieg gegen die Ukraine, Klimakrise, Preisexplosion bei den Energiekosten, Inflation, Lieferkettenprobleme – „das ist viel“, fasste Gysi die aktuelle Problemlage zusammen. „Unsere Regierung ist überfordert, aber ich kenne keine Regierung, die nicht überfordert wäre.“

Keine Waffenlieferungen mehr an die Ukraine – diese Forderung der Linken klingt bei Gysi etwas differenzierter. Er möchte die Lieferungen im Gegenzug für die Zustimmung Russlands zu einem Waffenstillstand aussetzen – „das würde Putin unter Druck setzen“. Verweigere dieser die Zustimmung, solle die Militärhilfe an die Ukraine weitergehen.

Stimme er aber zu, könnten – sicherlich lange und zähe – Friedensverhandlungen beginnen, etwa über einen Autonomiestatus für den Donbass, doppelte Staatsbürgerschaften und eine Aufhebung des Verbots der russischen Sprache in der Ukraine. Über allem wünscht sich Gysi „eine Wiederbelebung des Völkerrechts statt einer Rüstungsspirale“. Und er erinnerte daran, dass auch die NATO und die USA schon völkerrechtswidrige Kriege geführt hätten – erstere gegen Serbien, letztere gegen den Irak. Das mache den Westen im Rest der Welt unglaubwürdig.

Gegen eine zunehmend polarisierte, sozial und ökonomisch auseinander driftende Gesellschaft im Inneren gelte es „zu bewahren, was der Kapitalismus kann, und Schritt für Schritt überwinden, was er nicht kann“. Große Banken und Konzerne gelte es zu verkleinern oder teilweise zu vergesellschaften. Im Gesundheitswesen dürfe es nicht in erster Linie darum gehen, was sich rechnet. Wasser- und Energieversorgung gehörten in die öffentliche Hand. Und um in der Bildung Chancengleichheit zu verwirklichen, sei eine längere gemeinsame Schulzeit nötig. Dass Bildung im übrigen immer noch Ländersache sei, „hat nichts mit dem 21. Jahrhundert zu tun“.

Zu Religion und Kirche hat der Linken-Politiker ein entspanntes Verhältnis. Er glaube zwar nicht an Gott, fürchte aber eine religionslose Gesellschaft, so Gysi. „Für Moral und Wertvorstellungen sind die Kirchen wichtig und notwendig.“ Die katholische Kirche müsse konservativ bleiben, allerdings werde sie den gesellschaftlichen Fortschritt auch in den eigenen Reihen nicht ewig aufhalten können.

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