Wenn Sargnagel aus dem Roman liest, geht diese böse Spontaneität lesungsbedingt etwas verloren. Und das raubt den Texten der Österreicherin den Funken, der Postings-Leser so gern überrascht auflachen lässt. Gut, dass Sargnagel das weiß – und ihre Lesung immer wieder mit launigen Erklärungen ergänzt. Zum Beispiel über das ihr anklebende Bild des „armen Arbeiterkindes“ – eine Falle für die Lektorin, die im Klappentext deshalb die Schule ins Proletenviertel schiebt; oder dass sie „mit Heterosexualität gestraft ist“ und lange Zeit dachte, sie müsste die Jungs von ihrer Klugheit überzeugen; dass Sargnagel in ihrer Kifferphase so unglaublich fit war, weil sie ständig klischeegemäß Hacky-Sacks treten oder Diabolos variantenreich jonglieren musste; oder gar das weltanschauliche Schwelgen im früheren „Zigaretten- und Bierkommunismus“, der leider verlorengeht, wenn die ersten Erbschaften anstehen. In der Wortwahl immer wieder die eingeflochtene Derbheit mit viel „Arsch“ und Hure“ – vom Vater aufgeschnappt, sagt sie – und die im Wienerischen immer noch liebevoll klingt
Und ja, auch im gelesenen Text funkelt‘s, beispielsweise wenn Sargnagel im Psilocybin-Rausch Amsterdam verpasst, aber Grashalme tanzen sieht. Vor allem glitzern aber ihre Beschreibungen des ‚Milieus‘ und seiner Protagonisten. Bezirksalkoholiker Hugo, der schielende Elektriker, stets im Blaumann, obwohl er arbeitslos ist. Haupt-Figur Aids-Michi, der schwebend bei Wirtin Waltraud, auch sie ein Zwitter aus Güte und Häme, in der Ecke die „dickflüssigen Reste“ zu essen bekommt – Ekel und Humor im Wienerischen immer effektiv kombiniert. Michi, dessen Wohnung zum Jugendzentrum wird, „aber ohne Pädagogen und mit Drogen“. Michi, der im psychomanen Rausch Schlaues von sich gibt: „Zukunft ist, die Vergangenheit vor vollendete Tatsachen zu stellen.“
Sargnagel fängt mit Charme, angeknackst von kühler Distanz. Da sind viele Lacher. Aber bis auf die erste Reaktion auf die Zwischenruferin ist ein Abstand zwischen der Autorin und ihrem Publikum zu spüren. Mit einem „Dankeschön, das war‘s“ geht Sargnagel ab und kommt auch, trotz anhaltendem Applaus, nicht nochmals auf die Bühne. Man könnte dazu auch „wienerischer Abgang“ sagen.