European Championships: Straßenradrennen der Herren startete in Murnau

Murnau – Dichtes Gedränge, kaum ein Durchkommen. Menschenreihen wie Mauern. Einen Blick erhaschen, einen möglichst langen auf etwas, das sehr flüchtig ist, im Hand- beziehungsweise Radumdrehen vorbei. Am vergangenen Sonntag bewältigten die Herren beim Straßenradrennen im Rahmen der European Championships rund 210 Kilometer und 1050 Höhenmeter durch oberbayerische Idyll-Landschaften. An den Start gingen die europäischen Spitzensportler im Murnauer Obermarkt.
Die Sonne zeigte sich unermüdlich. Sie leuchtete, wärmte, brannte runter auf die Trikots und Helme der rund 140 Athleten. Wer am vergangenen Sonntagvormittag durch den Murnauer Markt flanieren oder überhaupt durchkommen wollte, der brauchte Geduld und Geschick beim Umschlängeln von Hindernissen. Eine halbe Stunde vor dem Start – überall Menschen. Absperrungen säumten das Kopfsteinpflaster, dahinter drängten sich hunderte Zuschauer dicht aneinander, nicht allzu viel Platz war da zwischen den metallenen Gittern und den Hauswänden – und schon gar nicht in den vordersten Reihen, am Rand der Rennstrecke.
In den Händen rumorten Klatschpappen oder flatterten Papierfähnchen, bedruckt mit dem Murnauer Maskottchen Murni, ein grüner Drache – für diesen Anlass radelnd dargestellt, versteht sich. Die größte Spannung dürfte sich auf Höhe des Café Krönner gesammelt haben. Dort klebte die weiße Startlinie auf den Kopfsteinen. Auf dem holprigen Pflaster sollten die Räder die ersten Meter von insgesamt fast 210 Kilometer zurücklegen. Durch ein Mikro wurden die letzten Minuten bis zum Start durchgegeben. Nur noch 45 Sekunden. Ein paar Mal die Klatschpappe auf den Handteller geschlagen, schon folgt der Countdown. Zehn, neun, acht…
So flüchtig der Start, so umfangreich das Drumherum
Murnaus Bürgermeister Rolf Beuting (ÖDP/Bürgerforum) stand kurz vor dem Start am Rand unmittelbar hinter der weißen Linie. Eine Fahne in der Hand, das Startsignal oblag dem Rathauschef. Hinter ihm Gfreidi, das Maskottchen der European Championships. Ein Eichhörnchen mit Trachtenhut und in Sportklamotten – und freilich mit Klatschpappe in der Pfote. Beuting schwenkte die Fahne und die Sportler drangen wie ein Fischschwarm nach vorne, wenngleich zurückhaltend, ein neutralisierter Start. Sie drehten ihre Runde durch den Innenort, durchquerten noch einmal den Obermarkt, nun schneller, die Masse flockiger. Wer nicht aufpasste, konnte die Sportler glatt verpassen. Zuschauer ohne Spitzenposition brauchten einen langen Hals und stabile Zehenspitzen.
Jubel und Applaus waren zu hören, viele Händen waren aber anderweitig beschäftigt, mit Fotografieren und Filmen. Viele nach oben gestreckte Arme. Möglichst viel vor die Linse bekommen. Die kurzen Momente erwischen. Manche nutzten Schaufensterbänke als Podeste. Ehe man sich versah, waren die Athleten fort, auf den Weg zum offiziellen Start bei Schwaiganger, von dort ging’s weiter nach Großweil, Kochel, Walchensee, Jachenau, Bad Tölz, Münsing, Starnberg. Finish in München.
Nun der Appell ans Publikum: ruhig von dannen ziehen, kein Gedränge. So schnell die Sportler verschwunden waren, so schnell schienen sich nun die Zuschauer zu entfernen. Keine halbe Stunde später wirkte der Markt wie leergefegt. Banner wurden von den Absperrungen genommen und in Kartons gepackt. Ein Lkw rollte an, um die blanken Zäune einzuladen. Auf dem Kopfsteinpflaster gingen wenige Menschen, lagen ein paar Relikte wie Fähnchen – Murni am Boden.
Ein Teil der Zuschauer bewegte sich über die Postgasse zum Kulturpark, wo eine Freizeitmesse rund um die Themen Tourismus, Rad und E-Mobilität wartete. Und in der Musikmuschel: Eine große Leinwand – fürs Open Air-Kino am Abend. Zuvor: Public Viewing, die Live-Übertragung des Rennens, das immerhin über viereinhalb Stunden dauerte – und ersten Minuten gehörten allein der Marktgemeinde. Doch nicht nur auf den Straßen gab es ein Messen, einen Kampf um Sekunden und Meter, auch fernab des Zentrums wartete ein Wettbewerb, wenn auch in deutlich kleinerem Umfang und mit weniger Publikum, was der Motivation der Sportler aber keinen Abbruch tat. Auf dem Gelände des Mountainbike- und Rennrad-Vereins RSG Werdenfels fand der elfte Murnauer Cross Country Cup statt.
Bereits Am Tag vor dem großen, aber sehr flüchtigen Trubel war in Murnau einiges geboten. Die Freizeitmesse öffnete und auch auf der anderen Seite des Kultur- und Tagungszentrums (KTM) war was los. Am Stand des ADFC konnte man sein Wissen rund ums Radeln im Straßenverkehr auffrischen, spielerisch mit einem Quiz, und beim Benefizrennen „Radln mit Hand und Fuß“ überwanden sechs Teams einen Parcours inklusive Hütchen-Slalom mit dem Rad, an dessen Ende es mit verdeckten Augen Enten mit dem Kescher herauszufischen galt. Und es waren nicht irgendwelche Gummitierchen, sondern die gelben Enten, die in den vergangenen Wochen in der Tourist-Information Murnau gegen eine Spende zugunsten des Vereins Kunterbunt adoptiert werden konnten. Und es waren auch nicht irgendwelche Teams: Natalie Simanowski und Andreas Nagelmüller in Leibchen des Rollstuhlsportverein Murnau (Team „Felgendreher“), Sprecher Christian Jungwirth und Schauspielerin Conny Glogger („Running Gags“), Peter Wiesendanger, Vorsitzender des Wirtschaftsfördervereins, und Rolf Beuting („Selbstläufer“), Simon Mayr und Thomas Schmid sowie Michael Böhm und Jan-Niklas Pietsch, Eishockey-Spieler des SC Riessersee („Bandenkratzer“, „Eisradler“), und Wolfgang Küpper, Marktgemeinderatsmitglied, und seine Frau Angelika Geiger-Küpper („Gestiefelte Muskelkater“).
Nachdem die Eishockeyspieler bewiesen hatten, dass sie nicht nur auf Eis und Kufen, sondern auch auf sonnenheißem Asphalt und Rädern, und auch mit einer gerissenen Fahrradkette, Leistung abliefern können, Platz eins und zwei mit 29 beziehungsweise 25 Enten, brach am frühen Samstagnachmittag Rathauschef Rolf Beuting mit einer Handvoll Interessierter am KTM zu einer 360-Grad-Rundfahrt durch Murnau auf – mit dem Rad, versteht sich. Und am Abend erklang dann auch noch Musik aus der Muschel im Kulturpark. Mit einem solch umfangreichen Rahmen dehnte und kostete man letztendlich das für Murnau doch sehr flüchtige Sportevent geschickt aus.
Straßenrennen Herren - Die wichtigsten Zahlen und Ergebnisse
Startliste: 142 Athleten
Gold: Fabio Jakobsen (Niederlande)
Silber: Arnaud Demare (Frankreich)
Bronze: Tim Merlier (Belgien)
Bester Deutscher (acht Athleten angetreten): Phil Bauhaus (Platz 18)
Durchschnittsgeschwindigkeit: rund 45 Stundenkilometer
Quelle: European Championships Munich 2022
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