Ursprungsmeldung vom 11. März 2019: München - Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat unlängst Alarm geschlagen. Er befürchtet die Spaltung Europas und verfasste deswegen einen dramatischen Appell. „Noch nie war Europa in so großer Gefahr“, meinte er und forderte einen Neubeginn. Seine Lösung: Mehr Europa, weniger Nationalstaat. Was das heißt? Macron will den europaweiten Mindestlohn, eine gemeinsame soziale Grundsicherung, eine europäische Asylbehörde, Grenzpolizei und Klimabank.
Zehn Wochen vor der Europawahl steht viel auf dem Spiel. Von Macron geht ein Aufbruchssignal aus, dem nicht alle folgen wollen - das wird auch am Sonntagabend in der ARD-Talkrunde „Anne Will“ deutlich. Manfred Weber (CSU), der bald Kommissionspräsident werden möchte stellt dort klar: „Wir leben heute im besten Europa, was wir jemals hatte. Wir können in Frieden und Freiheit leben. Deutschland kann in einem Wohlstand leben, den es zuvor noch nie gehabt hatte. Das sollten wir einfach mal wertschätzen!“ Dennoch sei es legitim, jetzt zu überlegen, wie es auf dem Kontinent weitergehen könne.
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Gerade ist Greta Thunberg und die Protestbewegung "Fridays for Future" von Amnesty ausgezeichnet worden. Nun gibt es eine Umfrage, wie groß die Unterstützung in der deutschen Bevölkerung wirklich ist.
FDP-Chef Christian Lindner verwickelt sich bei Anne Will in Widersprüchlichkeiten, lehnt Macrons Ideen ab, feiert den Franzosen dennoch: „Die Vergemeinschaftung von Schulden macht uns nicht stärker“, warnt er etwa mit Blick auf Macrons jüngste Vorschläge. „Das kann nicht zulasten des deutschen Steuerzahlers gehen.“ Dafür gibt es zwar Beifall, aber sogleich auch den Konter: „Man kann nicht Macron toll finden und dann sein Programm zerlegen“, konstatiert CSU-Mann Weber sachlich, aber doch spitz.
„Es gibt Unterschiede zwischen uns und Macron, aber die sind kleiner als die zwischen Ihnen und Orban“, schimpft Lindner zurück und macht das nächste Fass auf. Ungarns Ministerpräsident steht nach seinem Anti-EU-Wahlkampf kurz vor dem Ausschluss aus der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament - darf man Weber Glauben schenken.
Es geht wild durcheinander, viele Themen werden angeschnitten, nichts wirklich ausdiskutiert. Spannend ist es trotzdem - auch weil Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis zu Gast ist. Der findet, die Deutschen hätten „Macron umarmt und zu Tode geküsst.“ Varoufakis hofft bei der Europawahl im Übrigen auf eine Rückkehr auf die europäische Bühne. Er ist gewählter Spitzenkandidat der transnationalen Bewegung „Democracy in Europe Movement 2025“ (DiEM25). Offiziell tritt er für die Partei „Demokratie in Europa“ an, ein deutscher Ableger der Bewegung.
Und dieser Varoufakis verwirrt bei Anne Will AfD-Frau Beatrix von Storch, als die behauptet, die EU sei undemokratisch, weil von den rund 750 Europaabgeordneten nur 96 in Deutschland gewählt würden, diese aber über Deutschland bestimmen dürften. „Wie viele möchten Sie denn? Wollen Sie 700 Abgeordnete?“, fragt Varoufakis da grinsend. „Für die AfD?“, erwidert von Storch irritiert. Natürlich nicht: Der Grieche meinte 700 Abgeordnete für Deutschland...
Später wirbt die AfD-Frau für einen „Dexit“ (“als letztes Mittel“), den möglichen Austritt Deutschlands aus der EU. Und Macron sei ein „Loser“ im eigenen Land, weshalb er die Flucht nach Europa ergreife, findet von Storch. Lindner will von ihr wissen: „Glauben Sie ernsthaft, dass ein deutscher Wirtschaftsminister allein in Peking die Interessen des Landes durchsetzen könnte? In welcher Welt leben Sie? So naiv können doch nicht mal Sie sein.“
Dann wird die Zeit knapp: Plötzlich geht es um die Klima-Demonstrationen von Schülern, Lindner will sich noch verteidigen. Er ist schließlich gegen die Demos und für „Profis“, sprich Wissenschaftler und Ingenieure, die sich des Klima-Problems annehmen sollten. Will aber hat es eilig. Sie muss zu den Tagesthemen abgeben.
Doch eines brennt Varoufakis noch auf der Zunge. Will deutet auf ihre Uhr, schaut fast ungläubig, aber will ihren weitgereisten Gast wohl nicht vor dem Kopf stoßen. Sie weiß keinen Weg aus der Zwickmühle und lässt ihn gewähren. „Einen Punkt muss ich noch sagen. Ich bin für Experten“, beginnt Varoufakis, aber er fürchte, dass die Wissenschaft in unserem System gegen die Wand rase und die künftigen Generationen dafür zahlen würden. „Wir enden dann in einem Europa, wo die Kinder wie Erwachsene sind und Erwachsene mehr so wie Kinder. Und die Orbans dieser Welt sind ein Symptom für das Scheitern der Union, rational die Krise anzugehen.“ Das musste raus.
„Karin Miosga, wir sind viel zu spät“, entschuldigt sich Anne Will bei der Tagesthemen-Moderatorin gleich mehrmals. Dann ist der ARD-Sonntagstalk geschafft. Das Fazit: Der EU-Wahlkampf hat begonnen.
Berlin - Jahrzehntelang galt die EU als beispiellose Erfolgsgeschichte - mittlerweile ist das große europäische Projekt in der Krise. Zu sehen ist das auch daran, dass bei der Europawahl im Mai in vielen Ländern wohl ausgerechnet Parteien den Weg ins Europaparlament finden werden, die die EU schwächen oder gar direkt abschaffen wollen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat gar schon zu einer grundlegenden Reform der EU aufgerufen.
Wie die EU in solche Schwierigkeiten geraten konnte und was nun zu tun ist, diese Frage ist am Sonntagabend auch Thema beim TV-Talk „Anne Will“ im Ersten. „Europa vor der Wahl - mehr EU oder mehr Nationalstaat?“ lautet der Titel der Sendung.
Dass die Sendung turbulent werden könnte, dafür sorgt nicht zuletzt die Auswahl der Gäste: So werden EU-Gegner von rechter Seite und Kritiker von linker Seite aufeinandertreffen: Beatrix von Storch (AfD) und der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis werden wohl nicht viele gemeinsame Standpunkte finden.
Auch an großen Namen aus den etablierten Parteien fehlt es nicht: Mit Manfred Weber (CSU) mischt der Kandidat der konservativen EVP für das Amt des Kommissionspräsidenten in der Debatte mit. Und die FDP entsendet ihren Parteichef Christian Lindner in die Runde. Komplettiert wird die Riege der Diskutanten von der Journalistin Cathrin Kahlweit.
Vergangene Woche hatte bei „Anne Will“ eine Putzfrau mit einer harten Attacke auf einen Ex-Bundeskanzler für Aufsehen gesorgt.
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Wegen Brexit-Chaos: Anne Will fällt heute aus
Die Koalition streitet über den richtigen Weg für mehr Klimaschutz. Einigen Umweltverbänden reichen die bisherigen Pläne für den Verkehr nicht aus.
Der ARD-Polit-Talk „Anne Will“ gehört für viele Fans fest zum Sonntagabend. Doch gerade pausiert die Sendung - das sorgt für Ärger und Spott bei den Fans.
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fn/mm/tz
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