Herber Energie-Streit bei „Will“: Göring-Eckardt attestiert Söder „spezifisch bayerisches Problem“

Katrin Göring-Eckardt und Norbert Röttgen kriegen sich bei Anne Will in die Haare. Der Grund: die Energiepolitik. Für Bayern hat die Grüne einen Rüffel.
Berlin – Seit Donnerstag fließt wieder russisches Gas durch Nord Stream 1 – allerdings nicht genug. Und weiter besteht die Gefahr, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den Hahn komplett zudreht. Darauf wäre Deutschland noch nicht vorbereitet, „denn wir sparen längst nicht genug“, wie Anne Will zu Beginn ihrer Sendung feststellt. Es fehle weiterhin an Alternativem zum russischen Gas. „Wie schafft Deutschland die Energiewende?“, lautet deshalb das Thema der ARD-Talkrunde.
Das Kanzler-Versprechen „You´ll never walk alone“ steht zunächst im Mittelpunkt. „Hat er ein Absolutheitsversprechen abgegeben, das er nicht halten kann?“, möchte Will wissen. Zeit-Journalistin Petra Pinzler geht tatsächlich davon aus, dass Olaf Scholz zu viel versprochen hat. Scholz suggeriere, dass der Staat die Krise bewältigen könne, eine „Wir-Stimmung“ sei bislang nicht erzeugt worden. Nach Pinzlers Ansicht müsse die Herangehensweise lauten: „Wir als Staat haben ein Problem und die Regierung kann nicht alles für euch erledigen.“
„Anne Will“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Katrin Göring-Eckardt (Grüne) – Bundestagsvizepräsidentin
- Nina Scheer (SPD) – energie- und klimapolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
- Alexander Graf Lambsdorff (FDP) – Fraktionsvize im Bundestag
- Norbert Röttgen (CDU) – ehemaliger Bundesumweltminister und Außenpolitiker
- Petra Pinzler – Zeit-Journalistin
SPD-Energieexpertin Nina Scheer verteidigt Scholz‘ Herangehensweise. Angesprochen auf eine mögliche Diskrepanz zwischen dem Versprechen des Kanzlers und den Mahnungen des Finanzministers Christian Lindner (FDP), der sagte, der Staat stoße an seine finanziellen Grenzen, widerspricht Scheer: „Es wird weitere Entlastungsmaßnahmen geben. Wir müssen uns aber verständigen. Dass ein Finanzminister versucht, das Geld zusammenzuhalten, mag nachvollziehbar sein.“ Alexander Graf Lambsdorff (FDP) beugt sich nach vorn und grinst: „Niemand weiß das besser als Olaf Scholz.“ Jener Scholz, der von 2018 bis 2021 selbst Finanzminister war.
„Anne Will“ (ARD) zu Putins Gas: Röttgen verreißt Scholz‘ Politik
Aber erst als Norbert Röttgen (CDU) zu Wort kommt, nimmt die Diskussion an Fahrt auf. „Wir müssen uns klarmachen, was die Dimension ist. Es geht nicht um Energiepolitik, es geht um den Krieg, den Putin führt.“ Röttgen weiter: „Der Kontext ist nicht: Wir denken uns jetzt eine gute Energiepolitik aus. Leider nein. Der Kontext ist: Putin führt diesen Krieg“. Scholz fehle es nicht nur an Kommunikation, sondern auch an Aktion. „Nein“, schiebt Katrin Göring-Eckardt (Grüne) ein, gleichzeitig ruft auch Lambsdorff: „Das stimmt nicht.“
Und als ob Röttgen Göring-Eckardt aus der Reserve gelockt hätte, holt die Bundestags-Vizepräsidentin zum Rundumschlag aus: „Ich wollte was sagen zu Herrn Röttgens Vergesslichkeit“, setzt sie an. Röttgen habe gerade über Versäumnisse in den Vormonaten gesprochen. „Ich finde, es wäre wirklich der Moment, dass Sie heute Abend hier sagen, wir haben so lange versäumt, dafür zu sorgen, dass wir mehr erneuerbare Energien haben. Wir haben so lange versäumt, uns unabhängig von Putin zu machen. Das ist ihre Regierungszeit gewesen, als sie Umweltminister waren. Das ist das Mindeste an Redlichkeit, was man aufbringen muss.“ Zugleich regt sich Göring-Eckardt über den Vorwurf auf, dass es an Aktion fehle. „Wir haben so viel beschlossen – waren Sie nicht da?“
Tempolimit-Streit bei „Will“: Lambsdorff sorgt für Staunen – irrelevantes Symbolthema?
Bei der Frage nach Einsparpotenzialen kommt Pinzler auf das Tempolimit zu sprechen. Lambsdorff stöhnt. „Das ist ein Symbolthema, das irrelevant ist“, sagt er. Große Augen in der Runde. Pinzler sagt, beim Tempolimit werde nicht mehr darüber diskutiert, was es bringt: „Es ist ein identitätspolitisches Thema geworden.“
Lambsdorff entgegnet erneut: „Es ist ein kleines Thema. Wir haben einen Krieg im Osten Europas und wir reden über das Tempolimit.“ Die Diskussion bleibt allerdings hitzig. Er störe sich als liberal denkender Mensch an „einer Regelung, für alle, die ganze Zeit, im ganzen Land“, meint der FDP-Politiker. „Und was ist mit roten Ampeln?“, fragt Pinzler. Lambsdorff fährt aus der Haut: „Was ist das denn für ein Vergleich? Der hinkt ja nicht nur, der sitzt schon im Rollstuhl.“ Für Pinzler ist dagegen klar: „Sie haben den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen.“
Zum Abschluss der Sendung möchte Will von den Gästen wissen, ob die Laufzeit der drei verbleibenden Atomkraftwerke verlängert wird. In Röttgens Amtszeit als Umweltminister fiel das Reaktorunglück in Fukushima. Damals beschloss Angela Merkels Regierung das Laufzeitende der deutschen Atomkraftwerke. „Das ungeklärte Problem der Entsorgung radioaktiver Abfälle bleibt“, sagt Röttgen, „jetzt haben wir aber eine Sonderlage“. Man müsse sich darauf einstellen, dass die Gas-Versorgung wegbricht. Die drei verbleibenden Atomkraftwerke erzeugten sechs Prozent des Strombedarfs. „Diese Lücke sollte durch Gas geschlossen werden, dies bricht nun weg“. Deswegen spricht sich Röttgen dafür aus, die Kraftwerke weitere drei Jahre am Netz zu halten.
Göring-Eckardt attestiert dabei ein „spezifisch bayerisches Problem“. Dort habe man kaum Interesse an Windenergie gehabt, sondern fast nur auf Solarenergie gesetzt. „Im Winter scheint nun mal weniger Sonne als im Sommer“, sagt Göring-Eckardt. Pinzler geht deshalb davon aus, dass eines der drei Atomkraftwerke weiterlaufen wird: „Und zwar das in Bayern. Die haben wohl gehofft, dass der Strom einfach aus der Steckdose kommt.“
Fazit des „Anne Will“-Talks
Anne Will möchte zu Beginn der Sendung vertieft darauf eingehen, ob Olaf Scholz zu viel verspricht. Ihre Gäste nehmen die Frage aber bloß halbherzig an. Erst als es im weiteren Verlauf um das Tempolimit geht, nimmt die Diskussion an Fahrt auf. Zündstoff liefert auch die Zukunft der deutschen Atomkraftwerke. (Christoph Heuser)