China ringt um Klimapolitik: „Widersprüche zeigen, wieviel Aktivität es gerade gibt“

Viele Entscheider planen in China die Transformation, die für den Klimaschutz nötig ist. Doch zwischen verschiedenen Zielen und Maßnahmen gibt es Widersprüche. Klimaschutz ist auch für Peking Neuland.
Peking/München – China* ist als weltgrößter Emittent von Treibhausgasen entscheidend für die Frage, ob es gelingt, die globale Erwärmung zu begrenzen. Zwar liegen Chinas CO2-Emissionen pro Kopf unter denen der meisten entwickelten Länder*. Doch allein aufgrund der Größe des Landes hat Chinas Klimapolitik – ebenso wie jene Indiens – Konsequenzen für uns alle. Kohle hat dort noch einen Anteil von rund 60 Prozent am Strommix. Parallel aber baut die Volksrepublik in rasantem Tempo Wind- und Solaranlagen auf.
Doch ähnlich wie hierzulande ringt man auch China um die verträglichsten Regeln für den Übergang zur Klimaneutralität. Die Transformation von Energiesektor und Schwerindustrie sind dabei die schwierigsten Brocken. Dass widersprüchliche Klimapläne quasi als Kollateralschaden eine Energiekrise auslösen können*, hat Peking diesen Sommer und Herbst schmerzlich erfahren müssen.
Nun hat die jedes Jahr tagende Wirtschaftskonferenz der kommunistischen Führungsspitze dem in China gerade entstehenden Dschungel an verschiedenen Klimaplänen einen weiteren Baustein hinzugefügt. Das Papier der Konferenz sorgte zunächst jedoch vor allem für Verwirrung. Bedeutet das darin erwähnte Wort von der Kohle als „Basis“ der Energieversorgung bis 2030 einen bevorstehenden Kohleboom? Verabschiedet sich China mit dem Ende von Energiespar-Deckeln auch von den Klimazielen? Oder sind die stattdessen einzuführenden Emissions-Quoten nicht ohnehin die bessere Größe?
Nis Grünberg, Klimaexperte vom Mercator Institute for China Studies (Merics) sieht in dem Papier schlicht eine Fortführung der bisherigen Klimapolitik. Die formulierten Sätze stehen demnach Chinas bisherigen „30/60-Zielen“* nicht entgegen: Emissionshöhepunkt vor 2030, Klimaneutralität spätestens 2060. „Eine Schwierigkeit bei der Analyse ist, dass derzeit vieles auf verschiedenen Gleisen zugleich passiert“, sagt Grünberg Merkur.de*. Auf der Central Economic Work Conference sei es um makroökonomische Fragen gegangen und die Rolle von Energieverbrauch und Treibhausgasen in der Industrie. „Dabei werden Themen wie Klima oder Umwelt eher nur grob umrissen.“
China: Viele Köche rühren für den Klimaschutz
Parallel befassen sich weitere Stellen von Partei und Regierung mit dem Klimaschutz. So beinhalten die vielen Fünfjahrespläne* der Zentralregierung, der Industrien oder Ministerien für 2021-2025 Klimavorgaben. Am konkretesten aber seien die so genannten 1+N-Pläne, sagt Nis Grünberg: „Sie bilden das oberste Rahmenwerk für die Dekarbonisierung. Diese Pläne zeigen, wie Chinas Wirtschaft in Richtung der 30/60-Ziele getrimmt werden soll. Darin geht es um Sektoren, Industrien und Technologien.“ Der erste N-Aktionsplan wurde im Oktober herausgegeben und befasst sich mit dem Pfad bis 2030. Grünberg erwartet, dass schon bald weitere N-Pläne folgen: „Vier andere Pläne sind bereits bestätigt und liegen in den letzten Zügen, mindestens zehn wurden insgesamt angekündigt.“
Noch seien all die verschiedenen Maßnahmen nicht aneinander angeglichen, sagt Grünberg. „All dies ist Neuland für die verschiedenen Politik-Bereiche. Die Detailschärfe wird weiter wachsen, und da wird es sicher immer mal wieder zu vorübergehenden Widersprüchen kommen.“ Das sei aber eigentlich ein gutes Zeichen, findet der Experte. „Denn die Widersprüche zeigen, wieviel Aktivität es gerade gibt. Alle haben das Signal gehört und bauen jetzt ihre eigenen Klimaschutz-Pläne. Die Koordinierung all dieser Policies ist eben extrem kompliziert.“ Das brauche Zeit.
Chinas Politik wirkt sich direkt auf Emissionen aus
Wirtschaftliche Trends und Krisen, sowie die Reaktionen der Politik darauf haben zudem auch in China sofort Auswirkungen auf Energieverbrauch und Emissionen: Im dritten Quartal gingen die CO2-Emissionen der Volksrepublik im Jahresvergleich erstmals wieder zurück. Sie lagen um 0,5 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Eine echte Überraschung, waren Chinas Emissionen im ersten Halbjahr doch deutlich gestiegen: „Der Rückgang der Emissionen aus fossilen Brennstoffen und Zement im Vergleich zum Vorjahr ist eine deutliche Trendwende“, urteilt der China-Experte Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) in Helsinki. Die Gründe, die Myllyvirta dafür sieht, sind eine Gemengelage aus politischen Entscheidungen: „Bemühungen zur Zähmung des außer Kontrolle geratenen Immobiliensektors*, himmelhohe Kohlepreise und die Stromrationierung.“ Stahl- und Zementproduktion seien infolge des lahmenden Bausektors rückläufig: Beides sind Sektoren mit gewaltigen Emissionen.
China: Wirtschaftskonferenz setzt auf Stabilität und Klimapäne
Was genau also beschloss die Wirtschaftskonferenz der KPCh*? Sie beschwor Stabilität im Wirtschaftssystem und identifizierte die sichere Versorgung mit Primärgütern wie Agrarprodukten, Mineralien und Energie als eines von fünf „bedeutenden theoretischen und praktischen Fragen“. Zu diesen fünf zählte das Papier aber auch die angepeilte Klimaneutralität.
Nur ein paar Sätze stehen zum Klima im Abschlussdokuement der Veranstaltung. Doch diese beinhalten zwei bedeutende Änderungen:
- Die Klimavorgaben etwa für die Provinzen oder Industriesektoren zielen nicht mehr auf den absoluten Energieverbrauch ab. Stattdessen werden künftig die CO2-Emissionen gedeckelt. Statt auf Energie-Effizienz wird auf CO2-Intensität abgezielt. Fossile Rohstoffe sind dann von jeglicher Deckelung ausgenommen, wenn sie nicht als Brennstoff für die Energiegewinnung eingesetzt werden, sondern als Rohstoff in der Industrieproduktion – etwa im Chemiesektor. Zum Beispiel basieren große Teile der Kunststoffproduktion auf Rohöl.
- Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen soll laut Papier auf Basis „sicherer und zuverlässiger alternativer Energiequellen“ erfolgen. Doch es hieß darin auch, China solle Kohle auf „saubere und effiziente Weise nutzen“, denn sie sei bis auf weiteres „die Basis der Stromerzeugung“. Nach der Konferenz forderte Staatschef Xi Jinping* lokale Kader auf, ihren Ansatz für die Umsetzung nationaler CO2-Emissionsziele anzupassen. Dass die Provinzen im Sommer und Herbst den Strom abdrehten, um ihre Energieverbrauchsziele für 2021 doch noch zu erreichen, war eine der Ursachen für die aktuelle Stromkrise*.
China: Erstmals Auslaufen fossiler Brennstoffe anvisiert
Das Papier sei das erste offizielle Dokument, das von einem „Auslaufen“ fossiler Brennstoffe spreche, lobt Lauri Myllyvirta. Doch zugleich preise der Text „saubere Kohle“. Es sei also vieles unklar, so der Experte: „Die Schlüsselfrage für Chinas Klimaschutzbemühungen wird sein, ob tatsächlich neue Investitionen in kohlenstoffarme und saubere Projekte fließen.“
Dass fossile Rohstoffe für die Industrieproduktion künftig keinen Begrenzungen mehr unterliegen, hat Folgen für die verschiedensten Sektoren. Gute und weniger Gute: Die Klima-Analystin Yan Qin von Refinitiv etwa erwartet „einen ziemlichen Schub für Kohlechemikalien“. Profitieren werden von der gleichen Regel interessanterweise nach einem Bericht der South China Morning Post aber auch die Lieferketten für den Ausbau von Wind- und Fotovoltaikanlagen. Denn auch diese beinhalten fossile Rohstoffe, die bislang absurderweise gedeckelt waren. Das habe gelegentlich zu Lieferengpässen geführt, schreibt das Blatt.
Chinas Klimapolitik: Emissionen statt Energieverbrauch im Fokus
Pro Kopf verbrauchen Chinesen laut Grünberg derzeit nur etwa halb so viel Energie wie im OECD-Durchschnitt. Bisher tragen Wind und Sonne aber nur rund neun Prozent zu Chinas Stromerzeugung bei. Auch deshalb ist ein Ausbau dringend nötig – und zugleich ein rasches Ende der Kohle wenig realistisch.
Vernünftig ist jedenfalls der Umstieg vom Energieverbrauch auf CO2-Emissionen als Zielgröße für die Dekarbonisierung. „Man möchte nicht mehr vorschreiben, wieviel Energie eine Firma oder eine Branche verbrauchen dürfen“, sagt Grünberg: „Sondern wie klimaschädlich diese Energie sein darf.“ Das sei sinnvoll, denn der Energieverbrauch werde in China auf jeden Fall weiter steigen. „Es würde wenig Sinn machen, die wirtschaftliche Entwicklung* zu deckeln, wenn die eingesetzte Energie sauber ist.“
China: Die Energiewende ist politisch schwierig – wie überall in der Welt
Der Wandel wird laut Grünberg auch dadurch erschwert, dass es dabei nicht allein um das Klima geht, sondern neben Wirtschaft und Energie auch um soziale Fragen. „Die Schwerindustrie, Gas- oder Kohlenproduktionen sind riesig und haben einen gewaltigen sozialen Fußabdruck“, sagt der Merics-Experte. Wo die in diesen Industrien voraussichtlich verschwindenden Arbeitsplätze neu geschaffen werden können, ist völlig unklar. Kohleprovinzen wie Shanxi im Norden Chinas haben daher eine gewaltige Transformation vor sich, die die Übergangsprobleme deutscher Kohlereviere wohl weit in den Schatten stellen dürften. ck *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.