Eine Frau für harte Fälle

Wenn’s im Urlaub richtig Ärger gibt, erfährt Frau Rott das meistens als Erste. Die 39-jährige Niederbayerin leitet in Hannover die Beschwerdestelle von Deutschlands größtem Reiseveranstalter...
...Päckchen macht sie nur ungern auf, denn es ist schon vorgekommen, dass als Beweis eine lebendige Kakerlake herausgekrochen kam. Ein Interview mit Beschwerdeexpertin Judith Rott von TUI:
Frau Rott, es heißt, die Deutschen gehörten zu den kritischsten Urlaubern überhaupt. Wie viele Reklamationen gehen bei der TUI Deutschland pro Jahr ungefähr ein? Welcher Prozentsatz ist das, bezogen auf die Summe aller Kunden?
Zum Glück kehren von rund acht Millionen TUI-Kunden im Jahr 98 Prozent zufrieden aus dem Urlaub zurück. Die Beschwerdequote liegt bei zwei Prozent, also rund 160 000 Fällen.
Welcher Anteil dieser Beschwerden führt am Ende zum Prozess?
Im Jahr 2009 waren es 653 Klagen. Die Zahl ist seit 2005 um die Hälfte zurückgegangen, worauf wir sehr stolz sind.
Eine Halbierung der Klagen in fünf Jahren – wie haben Sie das denn geschafft?
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TUI hat traditionell ein engmaschiges Qualitätssicherungssystem. Dazu gehört die Gästebefragung, die wiederum Basis für ein Hotelranking und den Hotelpreis TUI Holly ist. Dazu gehört „ZAK“ – zügige Abhilfe und Kulanz. Sie erlaubt allen TUI-Reiseleitern, Beanstandungen schnell und unbürokratisch direkt am Ferienort zu regeln, um eine Unzufriedenheit noch während des Urlaubs abzustellen. Ziel ist es immer, einen Mangel so früh wie möglich zu beheben oder einen Ausgleich zu schaffen. So kann schon direkt vor Ort eine Entschädigung erfolgen, etwa durch einen Gutschein für einen Ausflug oder einen Mietwagen.
Wie viele Mitarbeiter beschäftigt die TUI in der Beschwerdestelle?
Im TUI Kundenservice, der ein ganzes Stockwerk unserer Konzernzentrale umfasst, sind rund 80 Mitarbeiter beschäftigt.
Gibt es eine Hochsaison in der Beschwerdestelle, eine Zeit, in der bei Ihnen wegen Arbeitsüberlastung vielleicht sogar Urlaubssperre herrscht?

Der Kundenservice ist tatsächlich ein Saisongeschäft. Nach der Rückkehr haben Urlauber grundsätzlich einen Monat Zeit, um Entschädigungsansprüche beim Reiseveranstalter geltend zu machen. Der Zeitraum nach den Schulferien bedeutet für den TUI-Kundenservice deshalb Hochsaison. Der Winter ist bei uns sozusagen Nebensaison, in der auch Überstunden abgebaut werden. Eine Urlaubssperre gibt es nicht.
Was sind die Standards der Beschwerden, die am häufigsten eingehen?
In mehr als 70 Prozent aller Fälle geht es um die „Hardware“, also um die Unterkunft bzw. das Urlaubshotel. Diese Beschwerden – von kaputter Klimaanlage bis zum Schmutz im Bad – können meist ganz schnell direkt vor Ort behoben werden.
Gibt es trotz aller Vorkehrungen Mängel im Urlaub, sollten Reisende dies sofort an der Hotelrezeption reklamieren. Bei defekter Klimaanlage etwa muss der Hotelier eine Reparatur oder ein neues Zimmer anbieten.
Was, wenn das nicht geschieht?
Dann führt der nächste Schritt zum Reiseleiter vor Ort. Urlauber finden die Telefonnummer in ihren Reiseunterlagen oder am Hotelaushang ihres Veranstalters. Zudem haben unsere Reiseleiter in fast allen Hotels feste Sprechstunden.
Besonders skurrile Geschichten, an die Sie sich erinnern?
Ein weiblicher Gast hatte sich vor Ort in einen Animateur verliebt, der sie daraufhin auch zu Hause in Deutschland besuchte und umgekehrt wieder einlud, ihn doch im Hotel noch einmal zu besuchen. Dort angekommen, sah sie den Animateur mit einem anderen Gast. Daraufhin verlangte sie die Entlassung des Animateurs und die Erstattung der Kosten für ihren zweiten Aufenthalt vor Ort. Die Dame hatte das Erlebnis wohl unter „entgangene Urlaubsfreuden“ verbucht.
Wie hartnäckig sind die hartnäckigsten Reklamierer?
Zwei-, dreimal pro Woche landen Kunden auch mal in der Zentrale in Hannover, weil sie ihren Fall persönlich besprechen wollen. Einer kam auch schon mal mit Schlafsack und Zelt angereist.
Könnte man sagen, es gibt nichts, das nicht reklamiert wird?
So kann man es auch sehen. Ein Gast hatte einmal die Erstattung des Frühstücks eingefordert, das er wegen des frühen Rückflugs nicht mehr im Hotel einnehmen konnte. Oder die Bier-Klage: Im Hotelrestaurant hat ein Gast beim Abendessen täglich drei Bier bestellt. Bedauerlicherweise lag die Menge des Bieres wohl immer einen Zentimeter unter dem Eichstrich. Nach der Reise wurden wir mit einem Erstattungsanspruch konfrontiert. Der Gast hatte die fehlende Biermenge pro Tag addiert und haargenau am aktuellen Bierpreis ausgerechnet.
Welche Beschwerden könnte man sich beispielsweise schenken, da sie ohnehin keine Aussicht auf Erfolg haben?
Grundsätzlich ist jede Beschwerde oder Reklamation berechtigt – denn der Kunde bringt negative Erlebnisse beziehungsweise Eindrücke aus dem Urlaub mit nach Hause.
Grundsätzlich haben aber so genannte „softe“ Reklamationen weniger Aussicht auf Erfolg. Wenn beispielsweise unverbindliche Wünsche nach einer anderen Zimmerkategorie vor Ort nicht erfüllt werden, da die gewünschte Kategorie ausgebucht ist, bleibt eine Beschwerde erfolglos. Auch wenn es um den persönlichen Geschmack, zum Beispiel beim Hotelessen geht, können keine Forderungen gestellt werden – es sei denn, die Beschwerde tritt mehrfach auf. Dann prüfen wir den Fall selbstverständlich.
Sind Ihnen die Kunden, die sich nicht beschweren, die liebsten?
Für uns gilt: Kunden, die sich beschweren sind treuere Kunden. Denn wer sich nicht beschwert und seinen Ärger und damit die negativen Erlebnisse behält, bucht in der Regel kein zweites Mal. Kunden, denen geholfen wird – und sei es auch nur mit einer Erklärung oder einem Gespräch – buchen in der Regel erneut.
Hatten Sie als Urlauberin selbst schon einmal Grund zur Beschwerde?
Wir haben realistische Erwartungen an unseren Urlaub und wissen, dass es in einem Hotel mit Kinderclub manchmal etwas lauter zugeht. Aber mit zwei kleinen Kindern ist das für uns dennoch die ideale Urlaubsform. Richtig Pech hatten wir im Urlaub noch nicht. Ich habe mich vor meiner TUI-Zeit bei einer Italien-Reise aber schon einmal richtig verbucht. Ein romantisches, kleines, oberhalb von Neapel gelegenes Hotel stellte sich vor Ort dann als sehr unpraktisch für Ausflüge und Strandbesuche heraus. Wir haben uns dann mit dem Hotelier geeinigt und zwei Nächte weiterbezahlt, konnten dafür aber in ein Hotel am Strand umziehen und haben noch einen schönen Urlaub verbracht.
Wie und wo verbringen Sie denn heute Ihren Urlaub?
Früher haben wir viele Rucksackreisen gemacht, z.B. nach China oder Bolivien. Zurzeit gilt aber: zufriedene Kinder, glückliche Eltern. Daher fahren wir gerne in familienfreundliche Hotels oder Clubs, die Kinderbetreuung anbieten und freuen uns über die Rundum-Betreuung einer Pauschalreise. Schließlich hat man mit zwei kleinen Kindern schon genug zu tun ...
In den letzen drei Jahren waren wir auf Teneriffa (Roca Nivaria), Rhodos (TUI Schöne Ferien Club Atlantica Aegean Blue) und auf Fuerteventura (Robinson Esquinzo Playa) – jeweils beschwerdefrei.
Interview: Christine Hinkofer
SO REKLAMIEREN SIE RICHTIG
Wenn der Urlaub nicht hält, was der Katalog verspricht, können Urlauber Geld zurückverlangen. Doch wenn die Beschwerde Erfolg haben soll, sind gewisse Punkte zu beachten:
- Wer mit einer Leistung des Reiseveranstalters nicht zufrieden ist, muss zuerst vor Ort Abhilfe verlangen und sollte das von der zuständigen Reiseleitung bestätigen lassen.
- Die sogenannte Mängelanzeige kann später wichtig für die Beschwerdeführung sein. Mitreisende sollten die bestehenden Mängel bezeugen. Dabei sind unabhängige Zeugen vor Gericht glaubwürdiger als der mitreisende Partner oder Familienangehörige.
- Foto- oder Videodokumentationen können außerdem hilfreich sein.
- Nach der Rückkehr sind die Ansprüche innerhalb eines Monats beim Reiseveranstalter geltend zu machen.
dpa