„Wenn sich Prinzen für dich einsetzen“: Die filmreife Karriere des Münchners Liridon Krasniqi

Als Jugendlicher flog Liridon Krasniqi (30) aus den Nachwuchsleistungszentren beim TSV 1860 und FC Bayern. Und arbeitete wieder auf der Baustelle in Neuperlach. Heute ist Krasniqi malaysischer Nationalspieler und Familien benennen ihre Kinder nach dem Münchner.
München – Sommer 2006. Die Jürgen-Klinsmann-Jünger feiern Deutschland bei der Weltmeisterschaft ab und verpassen den Start eines wahren Fußballmärchens. Aber wie beim „Sommermärchen“ beginnt auch hier alles mit einem Schwindel. Schauplatz Giesing.
In jenem Sommer hatte der TSV 1860 München zum traditionellen Sichtungstag für Talente aus der Region geladen. Auch der damals 14-jährige Liridon Krasniqi marschierte mit Freunden zum Trainingsgelände der Löwen. Allerdings nicht zum Fußballspielen. „Meine Jungs wollten in der Kabine was klauen, während die anderen trainieren“, sagt Krasniqi. Krasniqi traf auf dem Weg zur Kabine seinen Trainer von Viktoria München. Ein kurzer Austausch.
Liridon Krasniqi: Unter falschen Namen beim Probetraining
‘Was machst du denn hier?‘
‘Mein Sohn ist hier angemeldet, ist aber erkältet und kann nicht teilnehmen.‘
Bei Krasniqi machte es klick. Ab zur Anmeldung: ‘Hallo, ich bin Ivan Bakovic.‘ „Ich bin aufs Feld und habe auseinander genommen“, sagt Krasniqi. „Es tut uns leid, es hat keiner geschafft“, sagten die Trainer von 1860 nach dem Probetraining, „bis auf Ivan Bakovic.“
Der Schwindel war für Liridon Krasniqi eine Eintrittskarte in den Profifußball. Eine Eintrittskarte, die er anschließend sofort wieder verbrannte. Aber der Reihe nach.
Liridon Krasniqi: Zwischen Jugendgericht und Nachwuchsleistungszentrum
Liridon Krasniqi wird am 01.01.1992 in Vitia, im Osten des Kosovo, geboren. 1996 zogen die Eltern nach München. „Ich bin die ersten Jahre in München-Sendling aufgewachsen. Mit zwölf sind wir nach Neuperlach. Damals war dort nicht alles so easy, tranquilo wie heute.“ Von der Strebergegend ins Ghetto, wie Krasniqi sagt. Der acht Jahre ältere Damir Suljanovic nahm sich Krasniqi in Neuperlach zur Brust, redetet ihm ein: Wenn du mit der Schiene gehst, die nur Scheiße macht, wird nichts aus dir. „Das habe ich leider ein paar Jahre lang gemacht“, sagt Krasniqi, der so oft vor dem Jugendgericht antanzen musste, dass sich die Staatsanwältin schon Spitznamen für ihn überlegte. „Ihm musste erst klar werden, dass man nur mit Halligalli und Party kein Profi wird. Das kann man sich erlauben, wenn man mal was erreicht hat“, sagt Suljanovic, der als Profi unter anderem in Deutschland und Zypern aktiv war.

Die romantische Geschichte vom Fußball als Ausweg? Nach dem Probetraining als Ivan Bakovic meldete sich Liridon Krasniqi bei 1860. Gab zu, dass er mit falscher Identität teilgenommen hatte. Die Trainer gaben ihm trotzdem die Chance, sich bei den Löwen zu beweisen. Zu groß war das Talent von Kransiqi.
„Liridon war nicht unumstritten damals. Er war wie ein Quadrat im Kreis. Eine Provokation für die, die stark angepasst waren“, erinnert sich Berthold Nickl, damals pädagogischer Leiter vom Löwen-Nachwuchsleistungszentrum und heute Spielerberater.
Liridon Krasniqi: Mit Jogginghose in der VIP-Lounge
Bei 1860 blieb Krasniqi nicht lange. Präziser formuliert: Er wurde rausgeschmissen. „Ich habe die Straße mehr gemocht. Ich habe den Straßenfußball mehr respektiert. Woher sollten wir denn überhaupt wissen, was wir mit Fußball erreichen können?“
Krasniqi liebte es, mit den Jungs aus seinem Viertel sämtliche Bolzplatz-Teams in München zu besiegen (hier der Link zur interkulturellen Straßenfußball-Liga buntkicktgut). . Treffpunkt am Steinplatz in Neuperlach, „dann ging es um die Ehre.“ Auf betonierten Plätzen mit Toren ohne Netz gab sich Krasniqi mehr Mühe als auf einem penibel gepflegten Rasen in einem Nachwuchsleistungszentrum.
Krasniqi verscherbelte damals vor der Allianz Arena Eintrittskarten. Und hielt „Schickimicki-Autos“ vor der VIP-Ausfahrt an, die das Spiel vorzeitig verließen. „Damals konnte man mit den Karten mehrfach raus und wieder rein. Ich stand dann mit Jogginghose, einem T-Shirt mit Löchern und irgendwelchen Deichmann-Schuhen in der Lounge. Plötzlich kam Berthold und fragte mich, was ich hier denn zu suchen habe.“ Krasniqis Antwort: Goldene Karte, Bruder!
Berthold Nickl erinnert sich nicht hieran, schließlich habe er mit Krasniqi viel erlebt. Aber, sagt der Spielerberater, „die Jogginghose ist keine Signifikanz in der Geschichte. Ich habe ihn noch nie ohne Jogginghose gesehen, sie sind mit der Zeit nur teurer geworden.“
Liridon Krasniqi: Wechsel nach Prag endet in FIFA-Sperre
Bei 60 war jedenfalls Schluss, hier gab es keine goldene Karte für Krasniqi, zuvor hatte er bei der von Wolfgang Schellenberg trainierten U17 noch Schuhe aus der Kabine geklaut. Werner Kern, damals Nachwuchsleiter beim FC Bayern, gab Krasniqi eine Chance. Er sollte neben dem Training täglich bis 17 Uhr eine Sportschule besuchen. „Alter Schwede, habe ich mir gedacht. Ich bin bei meiner normalen Schule ja schon immer morgens um zehn abgehauen.“ Nach vier Wochen flog Krasniqi von der Sportschule, einige Zeit später musste er dann auch vom FC Bayern Abschied nehmen
Auch der nächste Versuch, beim Nachwuchs vom FC Nürnberg Fuß zu fassen, scheiterte.

Ausweg Ausland? Mit 18 unterschrieb Krasniqi auf eigene Faust einen Jungprofivertrag bei Slavia Prag. Und verdiente 400 Euro pro Monat. Allein die Bahnfahrt nach München und wieder zurück kostete schon 100 Euro. „Ich habe mich auf der Toilette und unter dem Sitz versteckt. Spinksen, bis der Kontrolleur an einem vorbeigeht und erst dann wieder rauskommen. Zwei Jahre ging das so, verrückt, man.“
Nickl erinnert sich, dass Krasniqi damals „irgendeinen Vertrag auf tschechisch unterschrieben hat, den er nicht verstanden hat, und am Ende ohne Kohle und Essen dastand.“
Krasniqi kehrte Prag den Rücken, trotz laufenden Vertrags. Die FIFA sperrte ihn für zwei Jahre.
„Diese Macht von intrinsischer Motivation kann wichtiger sein als das beste Nachwuchsleistungszentrum der Welt.“
Zurück in Neuperlach. Krasniqi arbeitete mit seinem Onkel auf dem Bau. Abrissarbeiten, Knochenjob. Für acht Euro die Stunde mit der Schaufel in der Hand statt gefeierter Jungstar mit Ball am Fuß. Aber: „Ich habe nie aufgehört, an mich zu glauben. Ich habe mir zwei Jahre jeden Tag den Arsch aufgerissen mit dem Gedanken: Es wird passieren.“
Krasniqi trainierte nach der Baustelle und vor der Party. Jeden Tag zwei bis drei Stunden mit dem Ball, mit Freunden oder auch alleine. „Vor und nach ihm habe ich noch nie einen Spieler erlebt, der seinen Plan aus seiner intrinsischen Motivation, die ganz oft auch erschreckend strategiefrei war, so verfolgt und umgesetzt hat“, sagt Nickl. „Diese Macht von intrinsischer Motivation kann wichtiger sein als das beste Nachwuchsleistungszentrum der Welt.“
Krasniqis Nachwuchsleistungszentrum war die Baustelle. Hier lernte er Disziplin, haute nicht einfach morgens ab wie in der Schule.
„Liebe auf den ersten Blick. Pures Vergnügen.“
August 2013, der zweite Anlauf in den Profifußball. Krasniqi unterschrieb beim türkischen Erstligisten Ankaraspor, wurde in die zweite Liga zu Fethiyespor verliehen und absolvierte in einer starken ersten Saison 33 Spiele in der Liga.
Eineinhalb Jahre später zerstritt sich Krasniqi mit der Vereinsführung, es ging um ausbleibende Zahlungen. „Ich will, dass es jeden Monat am Ersten auf meinem Konto klingelt. Wenn es am Ersten nicht klingelt, kann ich am Zweiten kein Gas geben.“
Zurück nach Neuperlach, zurück auf die Baustelle. „Alter, bin ich wirklich wieder in diesem Loch“, dachte sich Krasniqi. Und bekam sechs Monate später den Anruf eines Agenten aus Malaysia. Krasniqi flog nach Vietnam, um sich dort bei Probetrainings zu beweisen. Anschließend nahm ihn der malaysische Erstligist Kedah FC unter Vertrag. „Es war wie mit meiner Verlobten aktuell. Es hat ab dem ersten Tag gefunkt, Liebe auf den ersten Blick. Pures Vergnügen.“ Tobias Gebert und Frank van Eijs öffneten Krasniqi die Türen in Asien.

In Malaysia zog Krasniqi die Aufmerksamkeit auf sich. Fast eine Million Menschen folgen dem Neuperlacher mittlerweile auf Instagram. Im Internet stößt man auf Bilder und Videos von malaysischen Familien, die ihre Kinder Liridon genannt haben. „Sechs Mal ist das jetzt bestimmt schon passiert“, sagt er. Wie der Hype entstanden ist? Mit nichts als Leistung, sagt Krasniqi. Und fügt nach kurzen Nachdenken an: „Es hat natürlich auch perfekt ins Schema gepasst, dass ich nicht schlecht ausschaue. Danke an meine Eltern. Danke an Gott.“
Liridon Krasniqi wird Nationalspieler Malaysias dank Unterstützung von Prinzen
Die Funktionäre vom malaysischen Fußballverband nannten ihre Kinder zwar nicht Liridon, wollten den 1,92 m großen Mittelfeldspieler aber unbedingt für die Nationalmannschaft. Eigentlich sind die Einbürgerungsbestimmen für Malaysia strikt – zehn der vergangenen zwölf Jahre muss man im Land gewohnt haben.

2015 war Krasniqi zu Kedah FC gewechselt, 2020 erhielt er die Staatsbürgerschaft. „Wenn sich Politiker, Prinzen und Fans dafür einsetzen, dass ich für die Nationalmannschaft auflaufen soll, passiert auch mal ein Wunder wie bei mir.“
Derzeit steht Krasniqi bei Johor DT unter Vertrag, lief in der asiatischen Champions League regelmäßig vor Zehntausenden Fans auf. Die letzten zwei Jahre spielte er per Leihe in Australien und Indien. Als malaysischer Nationalspieler, der im Ausland unterwegs ist, habe man schließlich noch mal ein höheres Standing. „Wenn das ganze Stadion deinen Namen schreit, Fans dich anschauen, als wärst du aus einem anderen Universum: Das habe ich plötzlich alles selbst erlebt.“
„Ich habe eine geilere Karriere als 80 Prozent der Bundesligaspieler.“
Mit Malaysia spielt Krasniqi zurzeit die WM-Qualifikation. Die freie Zeit zuvor verbrachte er wie immer in München. Kochen mit den Eltern, mit den Jungs von früher in einer Shisha-Bar treffen. Und dann war da noch die Nostalgiefahrt zur Implerschule, die er zehn Jahre besucht hatte. Auf dem Gang entdeckte Krasniqi einen Lehrer, der ihn früher immer aus dem Unterricht geworfen und eingeredet hatte: Aus dir wird nichts.
„Aus dem Unterricht bin ich vermutlich jedes Mal zurecht geflogen, aber aus mir ist was geworden. Bei mir war eine Profikarriere nie vorgesehen. Ich habe eine geilere Karriere als 80 Prozent der Bundesligaspieler. Es gab keinen Aufzug, die Treppe habe ich mir selbst gebaut.“
Liridon Krasniqi ist nie um eine Antwort verlegen, lauert schon während der Fragen, um seine Geschichten dann abzufeuern. Dass die Ligen in Malaysia oder auch Indien in Deutschland wohl nur auf Drittliganiveau anzusiedeln sind? Ist Krasniqi egal, er sei lieber der König auf dem Dorf als das Schaf in der Stadt.
Nur als er seine eigene Karriere beschreiben soll, da muss Krasniqi überlegen. Eine halbe Minute vergeht. Im Gespräch mit dem Münchner eine halbe Ewigkeit. „Absoluter Wahnsinn“, sagt Krasniqi dann, „in einem Film würde diese Story doch niemand glauben.“ (nms)